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Organspende - Fragen und Antworten


Von Roberto Rotondo

Übersicht

  1. Darf über Leben und Tod des Menschen abgestimmt werden?
  2. Sind "Hirntote" Leichen?
  3. Sind Lebensäußerungen zugleich Zeichen des Todes?
  4. Wird der "Hirntod" richtig diagnostiziert?
  5. Wie lange kann man einen "Hirntoten" intensivmedizinisch am "Leben" halten?
  6. Bekommt der Tod durch die Organentnahme einen Sinn?
  7. Ist ein Mensch ohne Bewusstsein kein Mensch mehr?
  8. Kann "Ersatzdienst", "Zivildienst", Tätigkeiten im Rettungsdienst bzw. Pflege oder die religiöse Einstellung eines Menschen als Hinweis bzw. mutmaßlicher Wille pro Organspende bewertet werden?
  9. Können Kranke durch Transplantationen geheilt werden?
  10. Beeinflussen Transplantationen das Selbstbild und das Leben mit anderen?
  11. Was hat Würde mit Organentnahmen zu tun? Erfahrungen aus der Krankenpflege
  12. Ist Nächstenliebe das einzige Motiv der Transplantationsmedizin?
  13. Ist die Transplantation die billigere Alternative?
  14. Geht die Entwicklung der Transplantationsmedizin zu Lasten alternativer Heilmethoden?
  15. Kann es jemals genug Organe für alle geben?
  1. Können Organe gerecht verteilt werden?
  2. Gibt es objektive medizinische Kriterien?
  3. Kann einem nahestehenden Menschen ein Organ verweigert werden?
  4. Organhandel: Dürfen Kranke die finanzielle Not anderer Menschen ausnutzen?
  5. Organhandel: Profitieren Organverkäufer?
  6. Müssen neue Technologien genutzt werden, nur weil es sie gibt?
  7. Wie verändert sich die Transplantationsmedizin?
  8. Ist die Forschung grenzenlos?
  9. Ist Forschung an "Hirntoten" möglich?
  10. Ist die Vermarktung des menschlichen Körpers wirklich unausweichlich? Was tun?
  11. Welche Regelungen gelten im Ausland?
  12. Wo bekomme ich Widerspruchserklärungen gegen Organentnahme?
  13. Ist der Ausfall aller Hirnfunktionen messbar?
  14. Gibt es noch EEG-Aktivitäten im Hirntodsyndrom?
  15. Messbereiche bei der Hirntoddiagnostik (EEG-Messung und klinische Diagnostik). Bereiche die nicht geprüft werden.

Darf über Leben und Tod des Menschen abgestimmt werden?

Das Transplantationsgesetz

Am 1.12.1997 ist das Transplantationsgesetz in Kraft getreten. Darin wird der "Hirntod" mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt. Liegt ein "Organspendeausweis" vor, dürfen Körperteile entnommen werden. Außerdem sieht das Gesetz eine sogenannte erweiterte Zustimmungslösung vor. Das bedeutet: Auch Angehörige können einer Entnahme von Körperteilen zustimmen, wenn es keinen "Spendeausweis" gibt. Haben "SpenderInnen" oder die Angehörigen keine Einschränkungen vorgenommen, darf eine Multiorganentnahme erfolgen, wobei Hornhäute, Innenohrknöchel, Kieferknochen, Herz, Lungen, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Magen, Knochen, Bänder und Knorpel, Haut, Adern und Knochenmark entnommen werden können.

Auch die "Lebendspende" wurde erlaubt. Das Transplantationsgesetz ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Entnahme einzelner Organe oder Organteile auch von gesunden Menschen. Außerdem sind Krankenhäuser nun verpflichtet, den Transplantationszentren "Hirntote" zu melden, wenn sie als "OrganspenderInnen" in Frage kommen.

Nach mehreren Jahrzehnten der medizinischen Praxis und ohne gesetzliche Rahmenbedingungen sicherten Bundestag und Bundesrat einen medizinischen Weg ab, der aus guten Gründen hinterfragt werden kann.

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Sind "Hirntote" Leichen?

Das neue Konzept des Todes

Der Philosoph Hans Jonas meint, dass die Existenz nicht in Kopf und Körper aufgeteilt werden kann: "Wie sonst könnte ein Mann eine Frau lieben und nicht ihr Gehirn? Angerührt werden vom Zauber einer Gestalt?"

Viele Organisationen und Verbände lehnen das Konzept des "Hirntodes" ab und betrachten "Hirntote" als Lebende. Die Meinungen gehen hier nicht allein entlang der Scheidelinien "Laien" und "Expert-Innen" auseinander. Auch JuristInnen, MedizinerInnen, KirchenvertreterInnen sowie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen e.V. erkennen den "Hirntod" nicht an. 202 Abgeordnete des Deutschen Bundestages stimmten gegen das heute gültige Gesetz, bei insgesamt 631 gültigen Stimmen. In drei von fünf eingebrachten Anträgen zum Transplantationsgesetz wurde die Diagnose "Hirntod" nicht mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt.

"Hirntote" PatientInnen sind sinnlich nicht als Tote erfahrbar, da die sicheren Todeszeichen, z.B. Totenflecken oder Leichenstarre, vollständig fehlen. Manchen PatientInnen können über Tage, Wochen und Monate am Leben gehalten werden. In dieser Zeit müssen sie gewaschen und gepflegt werden; zur Vermeidung von Druckgeschwüren werden sie mehrmals täglich im Bett umgelagert. Kontinuierliche Mundpflege, Hautpflege und Medikamentengaben sind notwendig.

Ihr Herz schlägt, und sie atmen mit technischer Unterstützung durch Beatmungsgeräte. Sie fühlen sich nicht wie Tote an, der Stoffwechsel funktioniert, "hirntote" Frauen können Kinder austragen, "hirntote" Männer können Erektionen haben. Wunden können ausheilen. Neurologen und sogar die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) geben zu, dass Hirnströme (EEG-Messungen) und Hormonproduktion der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) bei "Hirntoten" möglich sind.

"Hirntote" zeigen Reaktionen auf äußere Reize, die aber nach Ansicht der "Hirntod"-Befürworter keine Lebenszeichen sein sollen:

Nach Angaben der DSO sind in drei von vier Fällen Bewegungen der Arme und Beine möglich. Um diese Reaktionen während der Organentnahme zu vermeiden, muss ein "hirntoter" Mensch auf dem OP-Tisch festgeschnallt und zusätzlich durch Medikamente ruhiggestellt werden. Zum Beispiel erhalten "Hirntote" muskelentspannende Medikamente und werden narkotisiert. Beim Einschnitt in den Körper des "Hirntoten" kann es zu Blutdruck-, Herzfrequenz- und Adrenalinanstieg kommen. Bei anderen Operationen gelten diese Zeichen als Hinweise auf Streß bzw. Schmerz. Der Herzschlag setzt erst während oder nach der Entnahme einzelner Organe aus.

Mehr Informationen zum "Hirntod" finden Sie hier.

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Sind Lebensäußerungen zugleich Zeichen des Todes?

Das Menschenbild der modernen Medizin

Dass ein Mensch, der zu erheblichen Reaktionen und Lebensäußerungen fähig ist, tot sein soll, liegt am Menschenbild der modernen Medizin. Es geht nicht von der Ganzheit des Menschen aus Körper-Geist-Seele aus, sondern macht das Menschsein am funktionierenden Gehirn fest.

In der Erklärung "Deutscher Wissenschaftlicher Gesellschaften zum Tod durch völligen und endgültigen Hirnausfall" von 1994 heißt es:

"Ein Mensch, dessen Gehirn abgestorben ist, kann nichts mehr aus seinem Inneren und aus seiner Umgebung empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken, nichts mehr entscheiden. Mit dem völligen und endgültigen Ausfall der Tätigkeit seines Gehirns hat der betroffene Mensch aufgehört, ein Lebewesen in körperlich-geistiger oder in leiblich-seelischer Einheit zu sein. Deshalb ist ein Mensch tot, dessen Gehirn völlig und endgültig ausgefallen ist."

Diese Wertung wurde 1990 in der offiziellen Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Ev. Kirche in Deutschland mit dem Titel "Organtransplantationen" übernommen.

Mittlerweile zweifeln zwar verschiedene KirchenvertreterInnen an, dass der "Hirntod" mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen sei, zum Beispiel Kardinal Karl Lehmann (Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) oder Bischöfin Maria Jepsen (Ev. Kirche, Hamburg).

Zu einer Änderung der offiziellen Stellungnahmen der Kirchen hat dies jedoch nicht geführt.

Wenn Fähigkeiten, die dem Gehirn zugesprochen werden, etwa Denken oder bewusstes Erleben, unwiderruflich ausgefallen oder von außen nicht mehr wahrnehmbar sind, unterstellen medizinische StandesvertreterInnen, hohe Kirchengremien und ParlamentarierInnen den Tod. Wie unendlich ausdeutbar eine solche Reduzierung menschlicher Existenz auf Denken, bewusstsein, Reflexe ist - kombiniert mit dem fachmännischen Urteil, dass diese Fähigkeiten dauerhaft verloren sind - zeigen die bioethischen Diskussionen in vielen Ländern. Die "Hirntoddefinition" wird ausgeweitet. In England denken einige WissenschaftlerInnen darüber nach, WachkomapatientInnen, die dauerhaft ihr bewusstsein verloren haben, zur "Organspende" heranzuziehen. In den USA können Neugeborene explantiert werden, die ohne voll ausgebildetes Großhirn zur Welt kommen, die gängigen Hirntodkriterien aber ebenfalls nicht erfüllen. Die Konsequenz von medizinischem Menschenbild und Transplantation: Der Zugriff auf den Leib anderer wird gesellschaftlich enttabuisiert, Körperteile anderer für sich zu beanspruchen wird eine Selbstverständlichkeit.

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Wird der "Hirntod" richtig diagnostiziert?

Die Feststellung des "Hirntodes"

Zwei qualifizierte ÄrztInnen müssen die Diagnose "Hirntod" - wir betonen: Diagnose, nicht Tatsache - unabhängig voneinander feststellen und dürfen mit einer nachfolgenden Organentnahme und -transplantation nichts zu tun haben.

Grundvoraussetzung ist der zweifelsfreie Nachweis einer schweren Hirnschädigung, bei der das schädigende Ereignis entweder das Gehirn direkt und unmittelbar (z.B. durch Unfall) oder indirekt durch Sauerstoffmangel (z.B. im Blutzuckerkoma) betrifft. Häufig wird davon ausgegangen, dass die Gehirnfunktionen durch apparative Messungen (z.B. die EEG-Messung, die Kontrastmittel-darstellung der Hirngefäße oder die Dopplersonographie - eine Ultraschalluntersuchung) festgestellt werden. Der Einsatz dieser Apparate ist jedoch nicht zwingend durch die Bundesärztekammer vorgeschrieben, als maßgeblich gilt die persönliche Untersuchung.

Wenn die ÄrztInnen bestimmte Zeitabstände zwischen zwei Untersuchungen einhalten, ist es möglich, den "Hirntod" allein durch die klinische Diagnostik, also das Testen der Hirnstammreflexe, festzustellen. Das Großhirn wird hierbei nicht getestet, obwohl behauptet wird, dass der Ausfall des gesamten Gehirns geprüft wird. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ist dies hierzulande nur vorgeschrieben, wenn das Kleinhirn oder der Hirnstamm direkt und unmittelbar, z.B. durch Unfall, betroffen sind.

EEGs müssen beispielsweise nicht angewendet werden, wenn die Hirnschädigung durch Herzinfarkt, Ertrinken, Ersticken oder ein Blutzuckerkoma erfolgte. Im internationalen Vergleich zeigen sich Unterschiede in der Feststellung des "Hirntodes". Beispielsweise ist laut DSO die EEG-Messung in Japan zwingend vorgeschrieben, in England dagegen werde sie "als unsinnig angesehen."

Bei der klinischen Untersuchung geht es darum, ein tiefes Koma nachzuweisen. Die Pupillen sollen nicht mehr auf Licht reagieren (Lichtreflex), die Augen einen "starren Blick" beibehalten, wenn der Kopf von der diagnostizierenden ÄrztIn hin und her bewegt wird (okulo-zephaler Reflex). Beim Berühren der Augenhornhaut mit einem Wattetupfer dürfen sich die Lider nicht schließen (Korneal-Reflex).

Reaktionen auf Schmerzreize müssen ausbleiben, wenn z.B. mit einer Nadel in die Nasenscheidewand gestochen wird (Trigeminus- Schmerzreaktion). Husten-, Schluck- und Würgreiz müssen aus-bleiben, wenn die UntersucherIn z.B. mit einem Holzspatel im Rachen der PatientIn Reizungen auszulösen versucht. Die eigene äußere Atmung darf nicht von allein einsetzen, wenn die "Hirntote" nicht mehr maschinell beatmet wird (Apnoe-Test).

Das Fehlen dieser Reaktionen auf äußere Reize soll ausreichen, um den Tod festzustellen, wenn zwischen zwei vorgeschriebenen Untersuchungen bestimmte Zeitabstände eingehalten werden. Die ÄrztIn entscheidet aufgrund des Augenscheins, ob eine Bewegung/Zuckung, der Anstieg der Herzfrequenz oder des Blutdrucks zum Tod oder zum Leben gehören.

Durch die Untersuchungen werden Verletzungen hervorgerufen, die nicht mehr dem kranken Menschen dienen. Dies verstößt gegen ärztliches Ethos. Und: Ob ein Mensch tot oder lebendig ist, wird allein auf die Feststellbarkeit einiger weniger Reflexe reduziert.

Selbst erfahrene NeurologInnen räumen ein, dass die "Hirntoddiagnostik" zweifelhaft ist. Dr. Martin Klein, der die "Organspende" befürwortet, gab im Fernsehen zu, dass er bei einer Organentnahme Schmerzmedikamente wünsche, weil nicht "mit allerletzter Gewissheit" auszuschließen sei, dass "Reste von Bewusstsein im Hirntod-Syndrom vorhanden sind." (Tot oder lebendig? Film von Silvia Matthies, ausgestrahlt am 7. September 1995 auf Kanal Bayern III)

Mehr Informationen zum "Hirntod" finden Sie hier. Siehe auch:

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Wie lange kann man einen "Hirntoten" intensivmedizinisch am "Leben" halten?

Es ist durchaus möglich, "Hirntote" in ihrem Zustand länger zu behandeln. Bei vielen "hirntoten" Patienten soll der Herzstillstand, nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende (DSO), innerhalb von einer Woche nach Eintritt des Hirntodes erfolgen. Allerdings gibt es längere Weiterbehandlungszeiten nach Eintritt des Hirntodes:

Die Intensivtherapie kann nicht in jedem Fall von "Hirntod" so lange hinausgezögert werden und es besteht die Gefahr, dass sie auf Dauer die Organe der Organspender schädigt. Allerdings zeigen Fachveröffentlichungen, dass Überlebenszeiten von "Hirntoten" von einer Woche über mehrere Monate bis hin zu einem Jahr und länger, durchaus öfter vorkommen. Solche Studien sind in Deutschland unmöglich durchzuführen. Schon allein aus dem Grund, dass über 90 Prozent aller Organentnahmen innerhalb von 24 Stunden erfolgt sind. Hirntote bei denen keine Einwilligung zur Organspende vorliegt, werden nicht intensivmedizinisch weiterbehandelt. Ihre Weiterbehandlung wird nicht finanziert, da sie als Tote gelten, die nicht mehr krankenversichert sind.

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Bekommt der Tod durch die Organentnahme einen Sinn?

Angehörige im Konflikt

MedizinerInnen führen die Gespräche mit Angehörigen nicht allein im Sinne der "OrganempfängerInnen", sondern auch des Transplantationsmanagements.

Dazu zählt die Pharmaindustrie, die als Hersteller von Immunsuppressiva erheblich am Gewinn beteiligt ist. Die möglichen negativen Folgen für die Angehörigen treten in den Hintergrund.

Das Kuratorium für Heimdialyse und Nierentransplantation e.V. (KfH) und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) betreuen ein Fortbildungsangebot, das sich European Donor Hospital Education Programm (EDHEP) nennt. Es wurde von der Stiftung Eurotransplant entwickelt und wird durch den Pharmakonzern Novartis unterstützt.

Novartis erwirtschaftet einen wesentlichen Teil seiner Einnahmen durch Medikamente, die verhindern sollen, dass ein fremdes Organ bei OrganempfängerInnen abgestoßen wird. Eurotransplant im niederländischen Leiden vermittelt und koordiniert den internationalen Austausch von Spenderorganen in Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Österreich. Eine ausgewogene und umfassende Information über den "Hirntod" bietet dieses Programm nicht. Es richtet sich an ÄrztInnen und Pflegekräfte und soll ihnen das Überbringen der "Hirntod" -Nachricht, den Umgang mit der Trauerreaktion von Angehörigen, aber auch die Bitte um "Organspende" durch Training und Rollenspiel beibringen. Die Anteilnahme am Schicksal des Sterbenden und seiner Angehörigen beschränkt sich darauf zu vermitteln, dass mit dem zu erwartenden Tod noch etwas Gutes getan werden könne.

Liegt kein "Organspendeausweis" vor, müssen die Angehörigen stellvertretend für die PatientIn entscheiden. So werden sie in eine Zwangslage gebracht, aus der es kein Zurück gibt! Sie sind es, die über das Leben und Sterben ihrer Angehörigen, aber auch über das potentieller "OrganempfängerInnen" entscheiden sollen. In einer solchen extremen Situation sind verantwortbare Entscheidungen kaum möglich. Die Angehörigen befinden sich in einer Schocksituation, in der sie selbst betreuungsbedürftig sind. Es müßte darum gehen, alles zu tun, was dem Sterbenden und den Angehörigen hilft - und nicht darum, sie in ihrem schwächsten Moment auszunutzen mit dem Argument der Nächstenliebe. (Renate Greinert & Gisela Wuttke: Organspende. Kritische Ansichten zur Transplantationsmedizin. Lamuv 1993).

Wird eine "Organspende" abgelehnt, müssen sich die Angehörigen, provoziert durch die allgegenwärtige Transplantationswerbung, mit einer Bringschuld auseinandersetzen. Im Moment der Trauer lautet die Frage: Hätte nicht eine wartende PatientIn gerettet werden können?

Aber auch die Einwilligung in die "Organspende" kann eine Fülle schwerwiegender Belastungen mit sich bringen.

Im Transplantationsgesetz ist nicht geregelt, dass sich MedizinerInnen auf die Entnahme bestimmter Organe beschränken müssen - selbst dann nicht, wenn dies im "Spendeausweis" oder von Angehörigen gewünscht wird.

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Ist ein Mensch ohne Bewusstsein kein Mensch mehr?

Erfahrungen einer Mutter

Von Renate Greinert

Am 4. Februar 1985 verunglückte mein 15jähriger Sohn Christian auf dem Schulweg mit dem Fahrrad so schwer, dass er schon an der Unfallstelle versuchte zu sterben. Man brachte mit Elektroschocks sein Herz wieder zum Schlagen und flog ihn in die Medizinische Hochschule nach Hannover. Er wurde eingeliefert mit der Diagnose: "schwerstes Schädelhirntrauma". Christian war jung, kräftig und gesund, ein idealer Spender mit idealer Verletzung. Wir ahnten nicht, dass der behandelnde Arzt jetzt schon derjenige war, der ihm später das Herz explantieren sollte; uns schien es so, als ob die Ärzte sich um sein Leben bemühten. Christian lag auf der Intensivstation, die neben dem Transplantationszentrum liegt. Eigentlich hätte er auf die Neurologische Intensivstation gehört, dort wäre er auch anders behandelt worden, aber die war zur Zeit belegt. Bei unserem Eintreffen schien er tief und fest zu schlafen, er wurde beatmet, war warm, aus einer Schürfwunde sickerte etwas Blut, sein Körper schied aus, ab und zu wurde Blut abgenommen, und die Geräte wurden kontrolliert, er wurde behandelt und versorgt wie jeder lebende Intensivpatient. Laut Protokoll dokumentierten zwei Neurologen um 17 Uhr den Hirntod, eine sehr aufwendige Untersuchung, die aber von keinem Mitglied meiner Familie bemerkt wurde. Stattdessen wurde gegen 19.30 Uhr ein EEG abgeleitet. Christians Zustand hatte sich immer noch nicht verändert, die Behandlung ebenfalls nicht. Trotzdem wurde jetzt sein Zustand als tot bezeichnet, und man teilte uns mit, er wäre nun auch sauber. Das hieß, dass seine Organe nun frei von Medikamentenrückständen waren.

Ich konnte den Tod meines Sohnes nicht akzeptieren und war der Manipulation nicht mehr gewachsen, die in der Bitte um eine "Organspende" für andere lag. Ich wollte bei einer Verweigerung nicht auch noch verantwortlich sein für den Tod eines anderen Kindes, das, wie man mir sagte, mit Christians Organ weiterleben konnte. Mein "Ja" zur "Organspende" war nichts weiter als ein "Nein" zu noch mehr Tod. Ich stand dieser Situation hilflos gegenüber. Ich glaubte den Medizinern, dass Christian gestorben sei, entgegen meinem eigenen Empfinden. Denn ich konnte weder fühlen noch sehen, dass mein Sohn tot war, er war noch immer warm, aus einer Schürfwunde sickerte noch immer Blut, er wurde noch immer behandelt wie ein Lebender.

Es war mir ein ganz dringendes Bedürfnis, meinen Sohn, bevor er beerdigt wurde, noch einmal zu sehen. Der Mensch, der dann da im Sarg lag, war wirklich tot. Kanülen steckten noch im Körper, die Augen fehlten, ein Schnitt zog sich von seiner Kinnspitze bis tief in seinen Ausschnitt, Herz, Leber, Milz und Nieren waren entnommen worden, man hatte ihm sogar die Beckenkammknochen aus dem Körper gesägt. Christian erinnerte mich an ein ausgeschlachtetes Auto, dessen unbrauchbare Teile auf den Müll geworfen werden. Da habe ich begriffen, dass mein "Ja" zur "Organspende" mein Kind zu einem Ersatzteillager für andere hat werden lassen. Er wurde recycelt, seine Organe wurden in Europa verteilt.

Ich empfinde die Transplantationsmedizin heute als die modernste Form von Kannibalismus. Der Mensch reißt nicht mehr selber einem anderen das Herz aus der Brust, um sich an dessen Organ zu stärken, nein, er macht die Augen zu und lässt einverleiben.

Ich konnte mir erst im nachhinein das notwendige Hintergrundwissen zur "Organspende" aneignen, ein Wissen, das mich zunehmend entsetzte und Transplantationsmediziner mir vorenthalten wollten, das ich mir mühsamst von in der Transplantationsmedizin tätigen Ärzten und kritischen Intensivmedizinern besorgt habe. Abgesehen davon, dass ich begriff, dass "OrganspenderInnen" irreversibel komatöse PatientInnen sind, also noch lebende, aber durch die Intensivmedizin im Sterben gehaltene Menschen, wurden zusätzlich noch gravierende Missstände im Zusammenhang mit der "Organspende" im Falle meines Sohnes, aber auch von anderen "OrganspenderInnen" aufgedeckt. Die Transplantationsmediziner unter der damaligen Leitung von Professor Pichlmayr haben mir mit Klagen gedroht, falls ich über meine Erfahrungen berichten würde. Ich habe es trotzdem getan und bin zusätzlich von potentiellen "OrganempfängerInnen" und ihren Angehörigen bedroht worden. Man hat versucht, mich als verrückt darzustellen, als psychisch kranke Mutter, die mit ihrer Trauer um ihr totes Kind nicht umgehen kann. Alle diese Ereignisse haben mir Angst gemacht, und trotzdem habe ich jede Chance ergriffen, in der Öffentlichkeit über die Hintergründe der "Organspende" zu diskutieren, immer in der Hoffnung, mit meinen Informationen und Berichten über meine Erfahrungen andere Menschen zu erreichen, damit sie im Notfall eine qualifiziertere Entscheidung treffen können als meine Familie.

Heute liegt alles Wissen offen auf dem Tisch, jeder hat die Chance zu begreifen, dass "OrganspenderInnen" sterbende Menschen sind. Der Blickwinkel auf die sterbende "SpenderIn", die, in den letzten Stunden ihres Lebens auf dem Operationstisch angeschnallt, nach der Qualität ihrer Organe beurteilt und dann ausgeweidet wird, gefällt keinem in einer Gesellschaft, wo Sterben und Tod Tabuthemen sind. Viel angenehmer ist der Blickwinkel der kranken EmpfängerInnen, denen mit lebensfrischen Organen geholfen wird. Oder auch der jener Menschen, die für die "Organspende" sind - für den Fall, dass sie mal ein Organ brauchen werden. Wie überall, kommt es also auch hier auf den Standpunkt an.

Mehr Informtionen unter: www.initiative-kao.de
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Kann "Ersatzdienst", "Zivildienst", Tätigkeiten im Rettungsdienst bzw. Pflege oder die religiöse Einstellung eines Menschen als Hinweis bzw. mutmaßlicher Wille pro Organspende bewertet werden?

Das Transplantationsgesetz (TPG) regelt in § 4 die Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen, wenn kein Organspendeausweis vorliegt.

Hier ein Auszug aus dem TPG:

"§ 4

Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen

(1) Liegt dem Arzt, der die Organentnahme vornehmen soll, weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch des möglichen Organspenders vor, ist dessen nächster Angehöriger zu befragen, ob ihm von diesem eine Erklärung zur Organspende bekannt ist. Ist auch dem Angehörigen eine solche Erklärung nicht bekannt, so ist die Entnahme unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und Abs. 2 nur zulässig, wenn ein Arzt den Angehörigen über eine in Frage kommende Organentnahme unterrichtet und dieser ihr zugestimmt hat. Der Angehörige hat bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten. Der Arzt hat den Angehörigen hierauf hinzuweisen. Der Angehörige kann mit dem Arzt vereinbaren, daß er seine Erklärung innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist widerrufen kann.

(2) Nächste Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind in der Rangfolge ihrer Aufzählung
1.Ehegatte,
2.volljährige Kinder,
3.Eltern oder, sofern der mögliche Organspender zur Todeszeit minderjährig war und die Sorge für seine Person zu dieser Zeit nur einem Elternteil, einem Vormund oder einem Pfleger zustand, dieser Sorgeinhaber,
4.volljährige Geschwister,
5.Großeltern.

Der nächste Angehörige ist nur dann zu einer Entscheidung nach Absatz 1 befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organspenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte. Der Arzt hat dies durch Befragung des Angehörigen festzustellen. Bei mehreren gleichrangigen Angehörigen genügt es, wenn einer von ihnen nach Absatz 1 beteiligt wird und eine Entscheidung trifft; es ist jedoch der Widerspruch eines jeden von ihnen beachtlich. Ist ein vorrangiger Angehöriger innerhalb angemessener Zeit nicht erreichbar, genügt die Beteiligung und Entscheidung des nächsterreichbaren nachrangigen Angehörigen. Dem nächsten Angehörigen steht eine volljährige Person gleich, die dem möglichen Organspender bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat; sie tritt neben den nächsten Angehörigen.

(3) Hatte der mögliche Organspender die Entscheidung über eine Organentnahme einer bestimmten Person übertragen, tritt diese an die Stelle des nächsten Angehörigen."

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die folgende Passage:

"Der Angehörige hat bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten."

Was kann als "mutmaßlicher Wille" betrachtet werden?

Wenn man nicht über die Organspende mit dem "Organspender" gesprochen hat, kann man über seinen "mutmaßlichen Willen" aus meiner Sicht nichts sagen und muss eine "Organspende" bzw. eine Organentnahme ablehnen.

Aus welchem Grund sollte "Ersatzdienst", "Zivildienst", Tätigkeiten im Rettungsdienst bzw. Pflege oder die religiöse Einstellung eines Menschen als Hinweis bzw. Mutmaßlicher Wille "Pro Organspende" bewertet werden?

Ich habe Pflegekräfte interviewt, die jahrelang bei Organentnahmen assistiert haben. Keine Pflegekraft hatte einen Organspendeausweis. Keinen Organspendeausweis zu besitzen, war eine bewusste Entscheidung gegen eine Organspende für sich selbst, ohne Organspende generell abzulehnen.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) e.V. bezeichnet das Wort "Hirntod" als Kunstwort und lehnt es ab, dass Angehörige in eine "Organspende" einwilligen dürfen.

Es gibt beispielsweise religiöse Menschen, die eine Organspende ablehnen, weil sie den "Hirntod" nicht als Tod des Menschen anerkennen.

Diese Beispiele zeigten mir, dass man ohne wirkliche Kenntnis der Einstellung zur "Organspende" einer Person, keine Aussage "Pro Organspende" treffen kann.

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Können Kranke durch Transplantationen geheilt werden?

Komplikationen nach der Transplantation

Für viele "OrganempfängerInnen" verbessert sich die gesundheitliche Situation nach der Transplantation. Dennoch sind sie nicht "geheilt", sondern müssen mit negativen körperlichen, seelischen und sozialen Folgen rechnen.

Die Transplantatabstoßung bleibt eine ständige Bedrohung für "EmpfängerInnen". Der Körper erkennt das implantierte Organ als fremd und bekämpft es. Um diese Reaktion sicher auszuschließen, müssen ständig Gewebeproben entnommen und untersucht werden.

Lebenslänglich muss diese Abstoßung medikamentös verhindert werden - zumindest jedoch bis zur nächsten Transplantation. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation von 1997 müssen 15 von 100 "NierenempfängerInnen" innerhalb eines Jahres und weitere 30 bis 40 innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Transplantation erneut transplantiert werden. Für andere Organe sind die Aussichten noch schlechter. Untersuchungen belegen zudem, dass Dialyse-PatientInnen länger leben als Nierentransplantierte. (Dialyse Intern 1/1999. Pabst Verlag, S. 24-32)

Durch die Medikamenteneinnahmen kommt es zur Abwehrschwäche und einer erhöhten Infektionsgefahr. Medikamentös bedingt, leiden die PatientInnen häufig unter Schwächegefühl, Potenzstörungen, Gliederschmerzen, einem veränderten Aussehen (z.B. durch aufgeschwemmtes Gesicht und Nacken, Stammfettsucht, Akne und Gewichtszunahme), Müdigkeit, Zittern, Kopfschmerzen, Empfindungsstörungen oder unter epileptischen Anfällen. Als Nebenwirkung der Medikamente können Krebserkrankungen auftreten. Jeder fünfte Todesfall unter Transplantierten wird durch eine medikamentös bedingte Krebserkrankung hervorgerufen. (Günter Feuerstein: Das Transplantationssystem. Dynamik, Konflikte und ethisch-moralische Grenzgänge. Juventa 1995)

Beim Herausnehmen der erkrankten Organe durchtrennt der Chirurg alle Gefäße und Nerven. Beim Einsetzen eines fremden Organs müssen diese Verbindungen wiederhergestellt werden. An diesen Stellen kann sich Narbengewebe bilden. Die Funktion der Transplantate kann eingeschränkt sein. Auch Gefäßabrisse und lebensbedrohliche Blutungen kommen vor. Folgeoperationen und -eingriffe werden notwendig, um Narbengewebe und Gefäßabrisse zu behandeln. Nierenfunktionsstörungen, ein arterieller Bluthochdruck, Magen-Darm-Geschwüre, Stoffwechselstörungen und neurologische Störungen können auftreten.

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Beeinflussen Transplantationen das Selbstbild und das Leben mit anderen?

Soziale und psychische Folgen

Die Anfälligkeit gegenüber Erregern kann bedeuten, dass der Transplantierte sich absondern muss. Die Folgen: Tag und Nacht muss ein Mundschutz getragen werden. Keine Küsse, kein gemeinsames Schlafzimmer, keine Tiere, keine Gartenarbeit, keine gemeinsame Toilettennutzung. Der ganze familiäre Ablauf muss geändert werden.

PatientInnen, die vor der Transplantation sehr krank waren und durch Familienangehörige versorgt wurden, müssen oder wollen aus der Position des Versorgtwerdens herausgehen, wenn die Transplantation erfolgreich verlief. Neue Rollenverteilungen können in der Familie entstehen, die häufig nicht akzeptiert werden, Partnerschaften scheitern.

Schuldgefühle kann es schon vor der Transplantation bei den "EmpfängerInnen" geben, wenn ihnen bewusst wird, dass sie auf den Tod eines anderen Menschen hoffen - und dass tatsächlich jemand für das eigene Weiterleben starb. Manche leben mit dem Gefühl, einem Menschen ein Organ gestohlen oder sie sogar verletzt oder getötet zu haben.

Viele "OrganempfängerInnen" beschäftigen sich intensiv mit der mutmaßlichen "SpenderIn", wobei das Geschlecht, die ethnische Herkunft oder mögliche Vorlieben eine zentrale Rolle spielen. Vor-stellungen, mit einem fremden Organ das Geschlecht gewechselt, die ethnische Identität oder persönliche Vorlieben übertragen bekommen zu haben, sind nicht selten. Eine Transplantation kann zu Identitätsstörungen, Persönlichkeitszusammenbruch oder Entfremdungserscheinungen führen. Auch Ängste oder Depressionen können auftreten.

Zu erheblichen psychischen Komplikationen kommt es, wenn der Übergang in den Transplantationsprozess zu schnell erfolgte und die PatientIn sich nicht genügend mit ihren Problemen oder ihren gegensätzlichen Gefühlen in Bezug auf die Transplantation oder dem "Hirntod" auseinander setzen konnte, oder die Zeit dafür fehlte. Trotz therapeutischer Begleitung kann es Jahre dauern, bis ein Organ auch psychisch angenommen wird. Diese Probleme können zu einem negativen Ausgang der Transplantation (z.B. durch die Organabstoßung) führen.

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Was hat Würde mit Organentnahmen zu tun?

Die Würde des Menschen

Im Transplantationsgesetz, §6, Absatz 1 heißt es: "Die Organentnahme und alle mit ihr zusammenhängenden Maßnahmen müssen unter der Achtung der Würde des Organspenders in einer der ärztlichen Sorgfaltspflicht entsprechenden Weise durchgeführt werden."

Und Paragraph 6, Absatz 2 verlangt: "Der Leichnam des Organspenders muss in würdigem Zustand zur Bestattung übergeben werden.

Zuvor ist dem nächsten Angehörigen Gelegenheit zu geben, den Leichnam zu sehen."

Auch wenn die ärztliche Sorgfaltspflicht eingehalten wird: Die Explantation verletzt die Leiblichkeit der "OrganspenderIn" tiefgreifend. Dies trifft insbesondere zu, wenn mehrere Organe herausgenommen werden. Die hierbei zwangsläufig auftretenden Verstümmelungen des Körpers entstellen das Aussehen der Leiche. Während der Organentnahme wird das Blut vollständig durch Absauggeräte aus ihrem Körper entfernt und durch Kühllösung ersetzt. So werden Organe haltbarer gemacht. Im Ergebnis erscheint der Körper blass, fast weiß. All das geht auch an den Pflegekräften nicht spurlos vorbei. In einer Stellungnahme zum Transplantationsgesetz stellte der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe 1995 fest: "Pflegekräfte äußern (zunehmend), dass die Organentnahme in einer nicht menschenwürdigen Art und Weise geschieht. Die Würde des Menschen und die Achtung vor dem Tod tritt gegenüber den Interessen der Transplantationsmedizin und auch wirtschaftlichen Interessen zurück." Noch bevor Angehörigen die Gelegenheit gegeben wird, den Leichnam zu sehen und Abschied zu nehmen, sollten sie vollständig aufgeklärt sein über den Umfang des Eingriffs und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Zustand des Leichnams nach der Explantation.

Erfahrungen aus der Krankenpflege

"Was mich am meisten stört, ist wirklich, wenn die Patienten sich bewegen ... weil, wenn die Ärzte den Schnitt ansetzen und dann bewegen sich die Patienten, dann sage ich mir halt, auch wenn das nur Reflexe sind, da ist noch irgendwas."

Zitat einer Pflegekraft. Aus einer qualitativen Untersuchung von Maria Feuerhack. In: Dr. med. Mabuse. Nr. 119, 24. Jahrg. Mai/Juni 1999, S. 55

"Wenn Sie als Krankenschwester/Krankenpfleger bei der Prozedur der Organentnahme mitmachen, einen Intensivpatienten entgegennehmen, die Klemme für das Durchlaufen der Perfusionslösung öff-nen, die Sprüche der Ärzte kennen, am Schluss alleine mit einer entstellten, eiskalten Leiche im Saal sind und dann Eltern miterleben dürfen, die ihren zehnjährigen Sohn gerne noch einmal sehen wür-den, da es vor der Entnahme anscheinend nicht mehr möglich war, wollen Sie vielleicht nur mehr eines - in die Arme genommen werden."

Robert Dorner. In: Die Schwester/ Der Pfleger. Bibliomed, 34. Jahrg. Mai 1995, S. 381

"Wer glaubt, nun sei es vorbei, der irrt. Ich werde nach Hause gehen, mich schlafen legen, und dann werde ich im Traum noch einmal das Ganze erleben. Ich werde diesen Toten sehen, der erst sein eigenes, dann das Gesicht eines mir nahestehenden Menschen und schließlich mein Gesicht tragen wird. Alles Verdrängte, Verschluckte, ein Hexenkessel voller Gefühle wird aufbrechen. Sie werden ihr grausames Spiel mit mir treiben - ungehindert, ungebremst, sich austoben bis zum Exzeß. Erst danach wird diese Entnahme für mich vorbei sein."

Monika Grosser zum Gefühl nach der Organentnahme. In: "Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin." Recom 1991.

"Ich habe immer gedacht, dass ist nichts Gutes, was wir hier tun. Aber, das ist mein Job. Ich krieg die Anweisung, ich muss da jetzt mitmachen. [...] Also, ich kam mir immer ziemlich mies vor. Ich weiß nicht, als ob man jemanden tötet, das Leben wegnimmt [...] Das war kein schönes Gefühl."

Zitat einer Pflegekraft aus einem Interview. Diplomarbeit: "Belastung und Bewältigung von Pflegekräften in der Transplantationsmedizin". Roberto Rotondo, Studiengang Psychologie der Universität Hamburg 1996.

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Ist Nächstenliebe das einzige Motiv der Transplantationsmedizin?

Die Transplantationslobby

Die Durchführung der Transplantation, die gesellschaftliche Diskussion und die gesetzgeberische Meinungsbildung sind in den letzten Jahrzehnten von drei Organisationen geprägt worden:

Das Kuratorium (KfH) wurde 1969 gegründet und ist für die Dialyseangebote und die Abwicklung von Nierentransplantationen zuständig.

Um Organe wie Herz, Lunge, Leber und Bauchspeicheldrüse zu beschaffen und zu verteilen, gründete das Kuratorium 1984 die DSO.

Ende der 70er Jahre war bereits ein drittes Standbein ins Leben gerufen worden, der AKO.

Diese drei eng miteinander verflochtenen Organisationen beeinflussen wesentlich die öffentliche Meinung. Mit einseitigen Informationsbroschüren und Unterrichtseinheiten sind sie die bestimmenden Anbieter von Aufklärungsmaterial. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis eine Broschüre herausgebracht, die ausschließlich der Transplantation zuträglich ist.

Die gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Ev. Kirche 1990 wurde inhaltlich von Mitgliedern der DSO/ KfH gestaltet. Die Erklärung mit dem Titel "Organtransplantationen" fordert seither ChristInnen zur "Organspende" auf und ist beim AKO erhältlich.

Auch die "Hirntoddiagnostik" und ihre Begründung im Expertenkreis trägt die Handschrift jener Organisationen, die den Kern des deutschen Transplantationssystems bilden. Gleichzeitig organisieren KfH und DSO die praktische und finanzielle Ausgestaltung der Organtransplantation.

Sie vereinbaren Transplantationspauschalen zur Erstattung der anfallenden Kosten. Die DSO bekommt beispielsweise für ihre Dienstleistungen rund 12.400 DM für jede erfolgte Transplantation.

Um Hemmnisse für die notwendigen Explantationen abzubauen, wird eine Vergütung von 1.000 DM je Explantation an KrankenhausärztInnen vergeben, die an "Hirntoddiagnostik" und Explantation mitwirken.

Alle Organentnahmen werden hierzulande mit Hilfe von MitarbeiterInnen des KfH und der DSO durchgeführt. Beide unterhalten eigene Organisationszentralen in jedem Transplantationszentrum. Die Kosten werden durch die Krankenkassen erstattet. Mit dem Transplantationsgesetz ist diese Interessenvertretung als Koordinierungsstelle rechtlich abgesichert. Auch die ärztliche Pflicht, "Hirntote" zu melden, ist gesetzlich festgeschrieben worden.

Organisation, Bezahlung und Gesetz - gestaltet, ausgehandelt und beeinflußt von den drei Organisationen - sind allein daran orientiert, Transplantationen zu fördern. Abwägungen oder Nachdenklichkeit auch beim Krankenhauspersonal sind nicht erwünscht.

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Ist die Transplantation die billigere Alternative?

Die Kosten

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des KfH, der DSO und AKO sollen durch eine Transplantation mittel- und langfristig Kosten gespart werden. Andere Therapieformen sollen teurer sein. Am Beispiel der Nierentransplantation wird die Kostenanalyse in Informationsbroschüren demonstriert: Durchschnittlich soll eine Zentrumsdialyse jährlich ca. 60.000 DM kosten, die Klinikdialyse ca. 90.000 DM. Eine Nierentransplantation einschließlich der nachoperativen stationären Behandlung wird mit einmalig ca. 100.000 DM veranschlagt. Pro Jahr sollen zusätzliche Folgekosten von ca. 20.000 DM entstehen.

Nur auf den ersten Blick sind diese Angaben so eindeutig, wie sie scheinen. Transplantationen von Körperteilen gehören mit Sicherheit zu den teuersten Eingriffen im bundesdeutschen Gesundheitswesen.

1995 kostete die Transplantation einer Leber durchschnittlich 250.000 DM. Der Austausch eines Herzens ca. 155.000 DM, die Transplantation einer Niere wurde mit 77.000 DM veranschlagt, einer Lunge mit 150.000 DM und einer Bauchspeicheldrüse mit 98.500 DM. (Richard Fuchs: Tod bei Bedarf. Das Mordsgeschäft mit Organtransplantationen. Ullstein 1996, S. 19)

Vergessen wird bei diesen Rechnungen: Ausgaben für die Vorsorge, für mögliche psychologische Nachbetreuung von "EmpfängerInnen" oder Angehörigen der "OrganspenderInnen". Unberücksichtigt bleiben Folgeuntersuchungen wie Gewebeentnahmen, um die Abstoßungsreaktionen frühzeitig zu erkennen. Die gesamte Infrastruktur, Aufbau und Betrieb von Transplantationszentren, Laboratorien sowie die Verteilungsorganisationen Eurotransplant und KfH/DSO tauchen in den Berechnungen nicht auf. Auch Fortbildung und Forschung bleiben unberücksichtigt.

Diese weithin verbreiteten Kosten-Nutzen-Rechnungen ergeben Durchschnittswerte. In der Realität gibt es erhebliche Preisunterschiede, sowohl zwischen Privat- und KassenpatientInnen als auch unter einzelnen Transplantationszentren. Komplikationen und Retransplantationen können die Kosten im Einzelfall in die Höhe treiben.

Diese kommen häufig vor. "Knapp unter 20% der bei Eurotransplant registrierten Nieren- und Leberpatienten warten auf ein zweites, drittes oder sogar viertes Organ." (Volker Schmidt: Politik der Organverteilung. Eine Untersuchung über Empfängerauswahl in der Transplantationsmedizin. Nomos 1996, S. 144)

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Geht die Entwicklung der Transplantationsmedizin zu Lasten alternativer Heilmethoden?

Durch die widerspruchslose Darstellung, dass eine Transplantation kostengünstiger sei als alternative Therapien, wird ein hoher gesellschaftlicher Entscheidungsdruck aufgebaut, die "billigere" Alternative zu befürworten. Und auf lange Sicht stellt sich die Frage, wer überhaupt noch alternative medizinische Wege und Forschungen finanzieren kann angesichts der enormen Mittel, die für die Transplantation bereitgestellt werden.

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Kann es jemals genug Organe für alle geben?

Der behauptete Organmangel

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) vom Februar 1999 warten etwa 13.000 Menschen hierzulande auf eine Transplantation, davon 11.000 auf eine Niere. Immer mehr PatientInnen, so die Bundesärztekammer (BÄK), sterben "aus Mangel an Spenderorganen". In der Broschüre "Das Transplantationsgesetz", die das Bundesministerium für Gesundheit herausgibt, heißt es sogar, dass PatientInnen, die auf der Warteliste für ein Organ stehen, aufgrund des Mangels "vorzeitig sterben".

Als Ursache für den Mangel nannte der bis Mitte 1999 amtierende Präsident der BÄK, Karsten Vilmar, die "quälende und teilweise unsachlich geführte Diskussion um die Feststellung des Todeszeit-punktes", die "viele Menschen davon abgehalten hat, [...] Organe zu spenden."

Der Sprachgebrauch, dass eine PatientIn "vorzeitig" gestorben ist, weil sie kein Organ erhalten hat, verdrängt den Blick auf die eigentliche Todesursache, nämlich eine schwere Nieren-, Leber- oder andere Organerkrankung. Eine Bringschuld entsteht durch diese Argumente:

Wer keinen "Spendeausweis" hat oder die Zustimmung verweigert, wird für den "vorzeitigen" Tod eines anderen Menschen verantwortlich gemacht. Gleichzeitig wird der Eindruck erzeugt, dass jede kranke PatientIn, die auf ein Organ wartet, ein Organ bekommen könnte.

Der Mangel entsteht jedoch, weil der "Hirntod" eine seltene Todesart ist. Die Zahl der "hirntoten" PatientInnen sinkt zusätzlich mit jeder Verbesserung im Bereich der Verkehrssicherheit (Airbag, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Anschnallpflicht). Auch Verbesserungen in der Diagnostik und Therapie von Hirnerkrankungen können Fallzahlen sinken lassen. Gleichzeitig steigt die Anzahl derjenigen, die auf die Warteliste gesetzt werden. Möglicherweise bieten MedizinerInnen eine Transplantation auch an, weil es sie belastet, keine Heilung und den nahenden Tod mitteilen zu müssen.

Hohes Alter oder eine schwere Erkrankung wie Krebs sind seltener als noch vor Jahren ein Grund, jemanden nicht auf die Warteliste zu setzen. Auch Säuglinge und Kleinkinder werden häufiger transplantiert.

Hinzu kommt, dass mit einer Zunahme der Transplantationen auch die Zahl der Retransplantationen steigt und der Bedarf an Organen wächst. Die Wartelisten werden immer länger. Da Eurotransplant mehr Organe zuweist, wenn ein Transplantationszentrum eine lange Warteliste aufweist, werden PatientInnen immer früher auf die Warteliste gesetzt.

Die Kluft zwischen Organnachfrage und -angebot ist ein strukturelles Problem und wird nicht zu beheben sein. Denn je mehr Transplantationen gelingen, desto eher wird eine Transplantation zur "Therapie der Wahl" für weitere Erkrankungen.

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Können Organe gerecht verteilt werden?

Gibt es objektive medizinische Kriterien?

Die Verwaltung des Mangels

Der Mangel ist nicht zu beseitigen. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, Kriterien zu finden, nach denen die knappen Organe verteilt werden. Im Transplantationsgesetz (TPG) war die Bundes-ärztekammer (BÄK) beauftragt worden, Richtlinien für die Aufnahme auf Wartelisten und die Organvermittlung auszuarbeiten. Im Juli 2000 sind sie in Kraft getreten. Die Organvergabe soll gemäß Transplantationsgesetz nach den Grundsätzen der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit erfolgen. Die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste und zur Verteilung der Organe sollen rein medizinisch begründet sein.

Die Aufnahme in die Warteliste ist das erste Nadelöhr für die PatientInnen. Tatsächlich spielen hier nicht allein medizinische Kriterien eine Rolle. TransplanteurInnen können auch den "seelischen Gesamtzustand", die "individuelle Gesamtsituation" und die "längerfristigen Erfolgsaussichten" der PatientInnen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Ein offenes Feld der Interpretation entsteht, in dem auch ganz persönliche Einschätzungen und Interessen des Transplantationszentren einfließen. PatientInnen mit bestimmten Risikofaktoren können nach den Richtlinien der BÄK völlig von der Transplantation ausgeschlossen werden. Hierzu zählen beispielsweise HIV-Infizierte oder AIDS-Kranke und andere PatientInnen mit schwerwiegenden Erkrankungen, die den Transplantationserfolg in Frage stellen. Aber auch Verhaltensauffälligkeiten wie schwerer Missbrauch von Nikotin, Alkohol und sonstigen Drogen versperren den Weg zur Warteliste. Ebenso können PatientInnen ausgeschlossen werden, die als zu eigensinnig gelten und vermutlich den ärztlichen Vorgaben nicht ausreichend folgen (mangelnde "Compliance" heißt dies in der Fachsprache).

Die Aufnahme in die Warteliste hängt also entscheidend von Einschätzungen oder persönlichen Beurteilungen der Transplanteure ab.

Sie ist die erste Auswahl- und Vermittlungsstufe, und immer fließen in die Entscheidung auch soziale Bewertungskriterien ein, die medizinisch "maskiert" werden können.

Auch die Verteilung der knappen Organe ist alles andere als klar und eindeutig.

Einerseits wurde bereits 1967 die Organisation EUROTRANSPLANT ins Leben gerufen, um "die knappen Spenderorgane im Rahmen eines internationalen Organaustausches zu vergeben. Auch hier sollen medizinische Kriterien ausschlaggebend sein. EUROTRANSPLANT ist in erster Linie eine Datenzentrale, in der per Computer alle benötigten Daten der "OrganempfängerInnen" sowie der "Organspender-Innen" mehrerer europäischer Länder gespeichert werden. Wichtige Daten sind die Blutgruppe, bestimmte Gewebemerkmale, die relative Dringlichkeit, die Wartezeit, das Alter und die örtliche Nähe der OrganempfängerInnen zum Ort der Organentnahme.

Die deutschen Transplantationszentren tauschen ihre Daten mit EUROTRANSPLANT aus, führen aber zusätzlich eigene Wartelisten, die in Form einer bundesweiten Datenbank zusammengefasst werden.

Offensichtlich gibt es Eigeninteressen, nämlich möglichst viele Transplantationen selbst durchzuführen. Das Kriterium der "örtlichen Nähe" von EmpfängerIn und SpenderIn läßt hier Spielräume für die deutschen Zentren offen. Für die OrganempfängerInnen bedeutet das: Je weiter jemand vom Transplantationszentrum entfernt wohnt, je geringer sind die Chancen, ein Organ zugeteilt zu bekommen.

Generell gibt es keine "Verteilungsgerechtigkeit" bei der Organvermittlung. Schon die beiden Hauptkriterien widersprechen sich: die Erfolgsaussichten bei der Operation und die Dringlichkeit der Transplantation. Gerade PatientInnen, die besonders dringend ein Organ benötigen, haben häufig schlechte Erfolgsaussichten.

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Kann einem nahestehenden Menschen ein Organ verweigert werden?

Organentnahmen bei gesunden "SpenderInnen"

"Lebendspende" heißt: Einzelne Organe oder Organteile werden einem gesunden Menschen herausoperiert, um sie zu verpflanzen. Vor allem Entnahmen einer Niere sowie Organteile der Leber, der Lunge, des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) und des Darmes sind bekannt geworden.

Ein/e solche/r "SpenderIn" muss volljährig und einwilligungsfähig sein (§ 8 TPG). Die "Lebendspende" ist dann zulässig, wenn "die Person" ... "nach ärztlicher Beurteilung als Spender geeignet ist und voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird." Mit dem TPG wurde die Möglichkeit der "Lebendspende" auch auf Nicht-Blutsverwandte aus-geweitet.

Die "Lebendspende" stellt einen Verstoß gegen den alten medizin-ethischen Grundsatz dar: "vor allem nicht schaden". Sie ist ein eklatanter Bruch des hippokratischen Eids, der besagt: Kein fremd-nütziger Eingriff ohne jede Indikation für die PatientInnen selbst.

Die traditionelle Orientierung der Medizin auf die Behandlung eines kranken Menschen wird bei der "Lebendspende" missachtet. Der Eingriff bringt keinerlei therapeutischen Nutzen für die "SpenderIn".

Im Gegenteil: Er ist mit Risiken verbunden. Bis heute gibt es keine verlässlichen Daten über die tatsächliche Gefährdung des Spenders.

Sogar der Tod muss einkalkuliert werden. Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Komplikationen und Langzeitfolgen. (Günter Feuerstein: Das Transplantationssystem. Dynamik, Konflikte und ethisch-moralische Grenzgänge. Juventa 1995)

Psychosoziale Probleme werden allein schon durch die Möglichkeit der "Lebendspende" hervorgerufen. Es kann vorkommen, dass sich ein Familienmitglied oder nahe Angehörige weigern, ein Organ abzugeben. Konflikte bleiben dann nicht aus. Andererseits können sich bereits bestehende Beziehungsprobleme zwischen "OrgangeberIn" und "-nehmerIn" nach der Verpflanzung noch verschärfen. Wird das Organ abgestoßen, können bei allen Beteiligten Schuldgefühle auftreten.

EmpfängerInnen stehen unter Dankesdruck und können das "geschenkte" Organ nie zurückzahlen. Das Transplantationsgesetz sieht vor, dass eine Kommission prüft, ob eine freiwillige Entscheidung vorliegt, also ob kein Zwang ausgeübt wurde. Die Freiwilligkeit einer "Lebendspende" ist jedoch anzuzweifeln, wenn die "SpenderInnen" von den "EmpfängerInnen" abhängig sind. Dies betrifft insbesondere Kinder, für die ein Elternteil als "LebendspenderIn" in Betracht kommen. Aber auch EhepartnerInnen könnten Pressionen ausgesetzt sein.

Außerdem soll die Kommission prüfen, ob das Organ "Gegenstand verbotenen Handeltreibens" ist. Um dem Organhandel jegliche Grundlage zu entziehen, lehnte die CDU/CSU-FDP Bundesregierung über Jahre hinweg die "Lebendspende" unter Nicht-Verwandten ab.

Das Transplantationsgesetz erlaubt diese jedoch nicht nur von Verwandten ersten oder zweiten Grades, sondern auch von "Ehegatten, Verlobten oder anderen Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen." Die Kommission kann jedoch nicht sicher ausschließen, dass zwischen genetisch verwandten "LebendspenderInnen" oder zwischen "SpenderInnen", die in "besonderer persönlicher Verbundenheit" zueinander stehen, finanzielle Absprachen stattfinden (z. B. über Erbansprüche oder Lebensversicherungen).

Mehr Informationen zur Lebendorganspende finden Sie hier.

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Organhandel: Dürfen Kranke die finanzielle Not anderer Menschen ausnutzen?

Organhandel und Kommerzialisierung

Die "EmpfängerInnen/KäuferInnen" kaufen sich "ihre" Organe, wenn ihnen die Wartezeit für ein Organ von einem "Hirntoten" zu lang erscheint, die Dialyse sie zu sehr belastet, die Verwandten nicht "spenden" wollen oder können, oder weil ihnen mitgeteilt worden ist, dass sie als "EmpfängerInnen" nicht in Frage kommen. Oftmals gegen den Rat der ÄrztInnen erwerben sie die Organe im Ausland.

Dabei gefährden sie die "SpenderInnen/VerkäuferInnen" und sich selbst.

Das Transplantationsgesetz (TPG) verbietet den Organhandel. Ebenso verbietet es, Organe, die Gegenstand verbotenen Handels sind, "zu entnehmen, auf einen anderen Menschen zu übertragen oder sich übertragen zu lassen". Für Zuwiderhandlungen werden Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen angedroht. Dieses Verbot wird unseres Erachtens jedoch durch die Regelungen zur "Lebendspende" unterlaufen.

Jahrelang waren Bundesregierung und mehrere Transplantationszentren, etwa das in München, gegen die "Lebendspende", und zwar aus den oben erwähnten Gründen: Gefahr der Kommerzialisierung und unabwägbare Drucksituationen unter Verwandten. Das TPG erlaubt nun ausdrücklich die "Lebendspende" zwischen Nichtverwandten und ermöglicht damit faktisch auch kommerziellen Organhandel.

Wer sich im Ausland ein Organ kauft, macht sich dadurch nicht unbedingt im eigenen Lande strafbar. Dies hängt mit der angeblich "notstandsähnlichen" Situation zusammen, in der sich laut Gesetzgeber die "EmpfängerIn/KäuferIn" befindet.

Gerhard Weber kaufte eine Niere in Bombay (Indien):

"Ich habe jemanden mit Geld dazu gelockt, sich operieren zu lassen", sagt Weber. "Mich selbst hat meine Krankheit dazu verlockt. Das schnöde dabei ist natürlich, dass ich der Mann aus dem Westen bin, mit Geld in der Tasche, und der andere hat nichts. Aber schließlich ist die innere Stimme am stärksten, die brüllt: ›Mach das, die Chance kommt nicht wieder!‹ Ich habe mich selbst an die erste Position in meiner Welt gestellt, so wie ich mich vorher schon jahrelang auf den ersten Platz der Transplantationsliste gewünscht hatte."

Das Sonntagsblatt, Nr. 44, 3. November 1995, S. 3

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Organhandel: Profitieren Organverkäufer?

Nein! Die Langzeitfolgen des Nierenverkaufs am Beispiel Indien belegen das Gegenteil.

Ergebnisse einer Studie von Goyal et al. (2002)

Befragte: 305 indischen Frauen und Männer

  1. Die Organverkäufer wurden trotz der erhaltenen Summe nicht dazu in die Lage versetzt, sich aus ihrer finanziellen Misere langfristig zu befreien
  2. Im Gegenteil: bei allen Befragten hatte sich die wirtschaftliche Lage nach der Nephrektomie verschlechtert
  3. Verschuldete Personen wurden durch die Gläubiger mit dem Verweis auf die Möglichkeit eines Organverkaufs noch stärker unter Druck gesetzt
  4. Fast 80% der befragten indischen Organverkäufer würden nach der Nephrektomie anderen Menschen in ähnlichen Situationen von einem solchen Eingriff abraten.
  5. Die gesundheitlichen Konsequenzen werden in der Regel von den Betroffenen nicht richtig eingeschätzt.
  6. Fast 90% der indischen Spender berichteten, dass die unilaterale Nephrektomie zu einer zumeist erheblichen akuten und langfristigen Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands nach der Organentnahme führte.
  7. Die Mehrzahl der Spender waren Frauen (71%), von denen einige explizit aussagten, von ihren Ehemännern zu dem Eingriff gezwungen worden zu sein.

Goyal M, Mehta RL, Schneiderman LJ, Sehgal AR (2002) Economic and health consequences of selling a kidney in India.JAMA 288:1589

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Müssen neue Technologien genutzt werden, nur weil es sie gibt?

Trends und neue Techniken

Der auf lange Sicht nicht behebbare "Mangel" an Organen führt dazu, dass der Bedarf auf andere Weise gedeckt werden soll. Die Ausweitung der "Lebendspende" gilt in Fachkreisen als das geeignetste Mittel. Aus diesem Grund wird hierzulande versucht, Organteile von lebenden, gesunden Menschen, Stücke der Leber, der Lunge, der Bauchspeicheldrüse und des Darms zu transplantieren.

Aber auch die Organbeschaffung von Menschen "ohne schlagende Herzen", sogenannte Herztote oder "non-heart-beating cadaver donors", wird ausgeweitet. Diese Todesdefinition und die Methoden der Organbeschaffung" wurden erstmals 1992 im "Pittsburgher Pro-tokoll" beschrieben. In den USA, aber auch in den Niederlanden, praktizieren Kliniken diese Methode schon seit Jahren in abgewandelter Form.

Die PatientInnen werden in vier Kategorien eingeteilt:

Kernstück des Handlungsablaufs ist die schnelle Kühlung der Organe.

Allen PatientInnen der Kategorien I-IV droht die Konservierung ihrer "verwertbaren" Organe mittels eines Katheters, der eigens für diesen Zweck verändert wurde. Sofort nach der Erklärung des "Herztodes" wird, möglichst ohne Verzögerung, Kühlflüssigkeit in den Körper der PatientInnen gepumpt. In den USA und auch in Japan provozieren MedizinerInnen den Herzstillstand durch den Abbruch der Beatmung im Operationssaal. Nach Eintritt des Herzstillstands warten die ChirurgInnen unterschiedlich lang, bis die Organe im Körper der PatientInnen mit Kühllösung durchspült werden. In den USA und in Japan warten MedizinerInnen zwei bis drei Minuten nach erklärtem Herzstillstand, bevor die Kühllösung eingesetzt wird, in den Niederlanden haben sich TransplantationsmedizinerInnen auf eine zehnminütige Wartezeit geeinigt. Die Gesetzeslage in den Niederlanden erlaubt es, den Katheter auch ohne Zustimmung der Angehörigen einzuführen. Die TransplanteurInnen müssen nur behaupten, sie seien gerade auf der Suche nach den Angehörigen. Die Bundesärztekammer (BÄK) wendet sich in einer Erklärung vom Dezember 1998 gegen diese Praxis, und bisher dürften hierzulande die so entnommenen Organe nicht verpflanzt werden. Allerdings hat die BÄK bisher dazu geschwiegen, wie dies praktisch verhindert werden soll. Ganz abgesehen davon, dass auch in bundesdeutschen Zentren an Einsatz und Entwicklung solcher Verfahren geforscht wird.

Eine andere Möglichkeit sehen TransplanteurInnen in der Verwendung von Tierorganen. Bei solchen "Xeno-transplantationen" übertragen ChirurgInnen Organe von Schweinen, Schimpansen, Pavianen, Ziegen und Lämmer auf Menschen. Die bisherigen Versuche endeten meistens schon nach wenigen Stunden, in einem Fall nach 21 Tagen, mit dem Tod der behandelten PatientInnen. Heute experimentiert man auch mit gentechnisch manipulierten Tierorganen. Bei der Transplantation von Tierorganen kann nicht ausgeschlossen werden, dass Viren und Krankheiten auf Menschen übertragen werden, die bisher auf Tiere beschränkt waren.

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Wie verändert sich die Transplantationsmedizin?

Darüber hinaus versuchen Wissenschaftler, "künstliche Organe" zu entwickeln. Neben dem Einsatz einfacher Körperprothesen wie Hüftgelenken oder gerätetechnischen Ersatztherapien wie der künstlichen Niere verfügen ChirurgInnen bereits über Erfahrungen mit eingepflanzten Kunstherzen. Die ersten KunstherzpatientInnen überlebten diese Eingriffe oft nur wenige Stunden. Klinische Versuche wurden auch mit einem "künstlichen Leberersatz" unternommen.

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Ist die Forschung grenzenlos?

Forscher wollen Föten und fötales Gewebe als Quelle von Organen nutzen. Solche Organ- und Gewebetransplantate sollen sich zur Therapie diverser Erkrankungen eignen. ChirurgInnen schlugen den Aufbau einer "fötalen Organbank" vor, die Organe und Gliedmaßen abgetriebener Föten enthält, um damit erkrankte Föten zu therapieren. (Ingrid Schneider: Föten. Der neue medizinische Rohstoff. Campus 1995)

Zukunftsvisionen richten sich vor allem auf die labortechnische Züchtung von Stammzellen. Diese Zellen werden aus Gewebe abgetriebener Föten oder von Embryonen gewonnen, die durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) entstanden sind. Neben Hirn- und Herzzellen sollen Knochenmark- und Bauchspeicheldrüsenzellen als Organersatz gezüchtet werden.

Auf dem Weg zum Routineeinsatz dieser Methoden müssen gesunde und kranke Menschen als Forschungsobjekte für WissenschaftlerInnen und MedizinerInnen herhalten, obwohl die Eingriffe für die Patient-Innen gefährlich sind und nicht selten qualvoll enden.

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Ist die Vermarktung des menschlichen Körpers wirklich unausweichlich? Was tun?

Das Transplantationsgesetz ist verabschiedet, der "Hirntod" rechtsstaatlich anerkannt. Die Organisationsabläufe der Transplantationsmedizin werden perfektioniert, neue Kriterienkataloge für die Organverteilung und immer neue Techniken ersonnen. Was kann angesichts solcher Trends noch getan werden?

Für die/den einzelne/n ist die eigene Meinungsbildung oberstes Gebot. Wer "nein" zur Entnahme von Körperteilen sagt, sollte dies im Familien- und Freundeskreis bekannt geben. Letztlich sind es die Angehörigen, die stellvertretend für das bewusstlose Kind, den sterbenden Ehemann oder die Lebensgefährtin entscheiden müssen.

Die Frage nach der individuellen Verantwortung stellt sich auch für Krankenpflegekräfte und ÄrztInnen, die Meldeformulare ausfüllen, Gutachten schreiben, Operationen vorbereiten, Angehörige fragen oder Forschungsprojekte einwerben und durchführen.

Angesichts parlamentarischer Mehrheiten, großer Interessenverbände und wissenschaftlicher Institutionen, die den Austausch von Organen propagieren und akzeptabel machen, sind gegenläufige Erfahrungen besonders wichtig: von Angehörigen oder medizinischen Fachkräften, die Zweifel an der Transplantationsmedizin haben; von PatientInnen, die mit Einschränkungen leben, aber andere Behandlungen vorziehen; von Menschen, die Sterbende begleiten - und nicht "benutzen".

Erst so kann die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten und der Sterbegeschehen wieder öffentlich und bewusst gemacht werden. Und erst so können das Sterben und der Tod wieder zu einer sozial, kulturell und gesellschaftlich gestaltbaren Existenzbedingung Aller werden.

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update: 04.06.2006    by: Roberto Rotondo