Home Gesetze & Hintergrundinformationen Gerichtsurteile & -verfahren Hirntod Organspende & Organspender Organempfänger Organhandel Erfahrungsberichte Allg. Informationen Veröffentlichungen Forum Organspende

Organhandel / Organkäufer


"Ich habe ihn mit Geld gelockt"

Seine Nierenkrankheit trieb Rolf Weber zur Verzweiflung. In Deutschland fand er kein Spenderorgan - deshalb flog er nach Indien.

In: Das Sonntagsblatt, Nr. 44, 3. November 1995, S. 3

SOZIALES

- Organkauf -

- VON RAINER JUNG -

Natürlich hat der Mann nichts Monströses an sich, wie er auf der Gartenbank sitzt, in den Abend schaut und eine Katze krault. Allenfalls die enorme Ader, die unübersehbar am linken Unterarm schwillt, ein Kurzschluß im Blutkreislauf, jahrelang lebenserhaltende Verbindung zur Außenwelt, Hunderte Male durchstochen, perforiert. Im Gegenteil: Rolf Weber ist ein freundlicher Mensch, zart und kultiviert, kurzes Haar, eine runde Metallbrille vor zwinkernden Augen. Abendland und Orient scheinen im Hause des Ethnologen eine Synthese eingegangen zu sein. Im Musikschrank stapeln sich die Kassetten arabischer und afrikanischer Interpreten. Die flauschigen Teppiche stammen aus dem Nahen Osten. Und Rolf Webers Niere kommt aus Bombay.

Organhandel, das ist ein Alptraum - für die Gesunden. Weil das Angebot an Spenderorganen in den Industrieländern längst nicht den Bedarf deckt, floriert seit Jahren das Geschäft mit den Innereien der Dritten Welt. Obwohl sie in keiner offiziellen Exportstatistik auftauchen, haben Nieren oder Augenhornhäute aus Lateinamerika und Indien mittlerweile ihren festen Platz in den Terms of Trade zwischen Nord und Süd.

Das Millionenheer der potentiellen Organverkäufer ist gut sortiert, billig und willig. Denn auch wenn die 1500 bis 3000 Mark, die auf dem Subkontinent durchschnittlich an den sogenannten freiwilligen Spender einer Niere gezahlt werden, lächerlich gering erscheinen, übersteigen sie doch häufig das Jahreseinkommen ganzer Familien.

Rolf Webers ganz persönlicher Alptraum begann schon, lange bevor er selber erkrankte. 1960 starb sein Vater, gerade 49 Jahre alt, an einem erblichen Nierenschaden. Die Ärzte hatten ihm nicht helfen können. Ende der achtziger Jahre verschlechterte sich auch der Gesundheitszustand des Sohnes, mittlerweile als Dozent für Afrikanistik häufig auf Reisen in tropische Länder. 1990 wurden Vene und Arterie in seinem Unterarm zum klopfenden Rohr zusammengenäht, Weber mußte erstmals an die Dialysemaschine. "Natürlich ist das ein phantastisches technisches Gerät", sagt er heute, "aber als Patient hängt man vor allem dreimal in der Woche an vielen Schläuchen und baut ab. Am Ende hat man zu nichts mehr Lust. Du überlebst, aber das Leben macht keinen Spaß mehr.

"Das Gefühl des Ausgeliefertseins nahm mit jedem Monat zu, Weber beobachtete einen schleichenden Verfall seiner geistigen und sprachlichen Fähigkeiten. Schließlich mußte der Ethnologe seine Vorlesungstätigkeit aufgeben. Zu Hause dehnte sich jeder Tag zu einer kleinen Unendlichkeit. "Ich habe herumgesessen und gewartet, daß das Telefon endlich klingelt. In der Ecke stand die gepackte Tasche, damit ich sofort in die Klinik fahren kann, wenn es eine Niere für mich gibt. Die Nachricht kam aber nie. Das Furchtbarste ist: Jeder Anruf, selbst von guten Freunden, wird im Laufe der Zeiterst einmal zur Enttäuschung."Einmal dachte Rolf Weber sogar an Selbstmord, und nur ein Zufall hielt ihn davon ab. Dann wieder das endlose Warten und Hoffen. Zwiespältige Hoffnung darauf, daß das Große Los endlich fällt in der Lotterie des Weiterlebens. Denn den Hauptgewinn kann nur ein Toter ins Spiel bringen. "Schließlich denkt man eigentlich nur noch an einen heißen Sommer, in dem viele Verkehrsunfälle zu erwarten sind", sagt der Ethnologe. Er kann wohl so offen darüber sprechen, weil er selbst nicht mehr wartet.

Im Januar 1994 ist Weber nach Bombay geflogen. Vom rein medizinischen Standpunkt aus hätte er noch viel länger mit der Dialyse leben können, "aber mein Lebensgefühl ist mir kaputtgegangen, es ging einfach nicht mehr." Aus dem Fernsehen hatte er von einem Autohändler in Norddeutschland erfahren, dem in einer indischen Klinik erfolgreich eine Niere implantiert worden war. Zunächst zog sich die Korrespondenz mit dem Arzt aus Bombay hin. Dann kam der für Rolf Weber erlösende Brief: "Der Aufenthalt dauert drei Wochen oder mehr", schrieb der vorsichtige Transplanteur nur. Kostenpunkt: 16000 Dollar, damals etwa 27000 Mark. "Da habe ich mich erst mal hingesetzt und überlegt: Darf ich das tun?"

Man nimmt Rolf Weber ab, daß er es sich nicht leichtgemacht hat. Der Redefluß gerät ins Stocken, einige Male zuckt er mit den Schultern. "Ich habe jemanden mit Geld dazu gelockt, sich operieren zu lassen", sagt Weber. "Mich selbst hat meine Krankheit dazu verlockt. Das Schnöde dabei ist natürlich, daß ich der Mann aus dem Westen bin, mit Geld in der Tasche, und der andere hat nichts. Aber schließlich ist die innere Stimme am stärksten, die brüllt: ,Mach das, die Chance kommt nicht wieder!' Ich habe mich selbst an die erste Position in meiner Welt gestellt, so wie ich mich vorher schon jahrelang auf den ersten Platz der Transplantationsliste gewünscht hatte.

"Die Klinik in Bombay erwies sich als sauber und gut ausgerüstet - zumindest in der Ausländerklasse. Aber auch die anderen Bereiche seien für indische Verhältnisse in Ordnung gewesen. "Immerhin hatte jeder da sein eigenes Bett", erzählt Weber. Rajesh, der auf dem Erinnerungsfoto neben Webers Schwester steht, gehört wiederum zu dem Indien, das aus dem Fernsehen bekannt ist. Klein, braun, gewellte Haare. Ein zurückhaltendes Lächeln auf vollen Lippen. Als Karrenzieher in Bombay würde er einem niemals auffallen im Gewimmel der Metropole, an einem überfüllten Zug hängend genausowenig wie in einem deutschen Flüchtlingslager.

In Rolf Webers Welt war der 27jährige aus Nepal aber für einige Tage einer der wichtigsten Menschen überhaupt, obwohl er sich "natürlich auch über Rajesh erhoben" habe, wie er nachdenklich feststellt, "sonst hätte ich das gar nicht machen können". Einige Tage vor der Verpflanzung lernte der Deutsche "seinen Spender" auf eigenen Wunsch kennen.

Rajesh war in den Handel mit seinem Körper ursprünglich als Blutspender eingestiegen, irgendwann hatte er sich dann bei den Transplantationsärzten als "freiwilliger" Anbieter einer Niere registrieren lassen. Mit dem Geld wollte er die Mitgift für seine Schwester bezahlen und sich einen eigenen Karren kaufen.

Rolf Weber war, so erinnert er sich, durch die Begegnung mit Rajesh zugleich beruhigt und verunsichert: Auf der einen Seite war der junge Mann gesund und mit den Ärzten bekannt, was Webers Angst vor einer möglichen Infektion mit Hepatitis, Malaria oder HI-Viren milderte. Zum andern "ist es natürlich doppelt schwer, wenn einem ein - obendrein sympathischer - Mensch aus Fleisch und Blut gegenübersteht. Aber schließlich denkt man nur noch: ,Hoffentlich geht alles gut'."

Die Operation verlief bei beiden Männern ohne Komplikationen. Rajesh erhielt für seine Niere 3000 Dollar von den Ärzten und weitere 2000 von Weber direkt. Angesichts der zynischen Mechanismen von Angebot und Nachfrage ein außergewöhnlich guter Preis, auch wenn der Deutsche selber sagt, daß er auch für wesentlich mehr Geld kein Stück von seinem Körper verkaufen würde.

Die Kosten für den Trip nach Bombay hat zum größten Teil Webers private Krankenversicherung erstattet - "ohne Fragen zu stellen". Zu Rajesh hat der Ethnologe derzeit keinen direkten Kontakt. Daß das Risiko des Nepalesen, mit nur einer Niere selber schwer zu erkranken, gewachsen ist, weiß auch Rolf Weber. "Ich habe ihm versprochen, daß ich ihm helfe, wenn er gesundheitliche Probleme bekommt, die mit der Organspende zusammenhängen."

Steckt hinter dieser Zusicherung nicht auch eine ganze Portion Selbstberuhigung? "Ich hoffe natürlich, daß es ihm gutgeht", sagt Weber und hebt die Stimme. "Aber Rajesh hat meine Adresse, und ich stehe zu meinem Wort." Seine Niere wird er dem Nepalesen im Bedarfsfall allerdings nicht zurückgeben können. Auch das ist ein Grund, warum Weber es vorgezogen hätte, in Deutschland das Organ eines Toten eingepflanzt zu bekommen. "Das hätte mir viel Kopfzerbrechen erspart", sagt er.

Wenn sein Gesundheitszustand stabil bleibt, will sich der Ethnologe im Spätherbst den Blutzapfhahn im Unterarm operieren lassen. Damit wäre dann - mit Ausnahme der kleinen Narbe am Bauch - jede Spur seiner Krankheit getilgt.

Wenn Sie mehr erfahren wollen, DS - Das Sonntagsblatt - Nr. 44

Den Artikel als Word-Datei.

Zum Vortrag: Organhandel in Indien - Nachbetreuung von Organkäufern in Essener Krankenhäusern.

zurück zur Hauptseite Organhandel


Startseite

update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo