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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Herztransplantation in Frage gestellt

Studie zur Lebenserwartung von Organempfängern nach Herztransplantation widerlegt Propaganda der Transplantationslobby

Von Roberto Rotondo (Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger.

Dezember 2001

Rund 1.000 Menschen werden in Deutschland jährlich neu für die Warteliste zur Herztransplantation angemeldet. Im Jahr 2000 wechselten 418 Herzen hierzulande die Körper. Solche Bilanzen veranlassen die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die für die Organisation der "Organspende" verantwortlich ist, immer wieder zu dramatischen Behauptungen: "Die mangelnde Verfügbarkeit eines Transplantats", heißt es im aktuellen DSO-Bericht, "bedeutet bei der Herz- und Lebertransplantation den Tod des Patienten auf der Warteliste." Die DSO müsste es besser wissen.

Darüber kann auch die subtilste Werbung pro "Organspende" nicht hinweg täuschen: Ein "fehlendes Organ", das weiß jeder medizinische Laie, kann niemals Todesursache sein. In der Regel sind es die Folgen einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls, die zum Tod führen. Unseriös ist auch eine weitere Verheißung der Transplantationslobby: dass die Übertragung eines Körperteils schwer kranken PatientInnen stets die Chance auf ein längeres Leben eröffne.

Erhebliche Zweifel an dieser Behauptung begründet eine Studie, in die alle deutschen Herztransplantationszentren einbezogen worden sind. Auf Initiative der "Kommission Herz" der Deutschen Transplantationsgesellschaft und der europäischen Organvermittlungszentrale Eurotransplantat werteten Mediziner der Universität Münster die Daten aller 889 PatientInnen aus, die 1997 auf ihre erste Herztransplantation in Deutschland warteten. Das Forscherteam um den Arzt Prof. Mario Deng teilte die PatientInnen in drei Kategorien ein, die ihr "Sterberisiko" während der Wartezeit auf ein fremdes Herz ausdrücken sollten: Hochrisikogruppe = 107 PatientInnen, Mittelrisiko (360), Niedrigrisiko (422).

Bei der Auswertung wurden "Überlebensraten" ermittelt und verglichen. Was dabei herauskam, passt nicht zur Propaganda der DSO, im Gegenteil:

* Fast jeder zweite Patient der Hochrisikogruppe, exakt 48 Prozent, erhielt ein fremdes Herz. Mehr als jede/r Dritte (36 %) überlebte das erste Jahr nach der Transplantation nicht. Von den PatientInnen der Hochrisikogruppe, die kein fremdes Herz erhalten hatten und weiter auf der Warteliste geführt wurden, starben im selben Zeitraum 32 %.

* Unter denjenigen Menschen mit mittlerem Sterberisiko erhielten 44 % ein Herz. Auch hier war die "Überlebensrate" der Transplantierten mit 76 % um 4 % geringfügig kürzer als unter denjenigen, die auf der Warteliste verblieben waren.

* In der Gruppe mit niedrigem Sterberisiko erhielten 41 % ein fremdes Herz übertragen. Drei von vier (75 %) überlebten das erste Jahr nach der Transplantation - im Vergleich zu 82 % auf der Warteliste.

Die Ergebnisse veröffentlichten Deng und Kollegen im September 2000 im Fachblatt British Medical Journal (Mario C. Deng u.a.: BMJ, 2 September 2000, Volume 321:540-5), Kernresultat: Eine Herztransplantation vermindert das "Sterberisiko" offenbar nicht, die Zahlen belegen eher das Gegenteil. (Artikel herunterladen, PDF © BMJ 2000)

Aus ihrer Studie folgern die Forscher, dass Herzen künftig ausschließlich auf solche PatientInnen übertragen werden sollten, die zur "Hochrisikogruppe" gehören. Ob die Umsetzung dieser Empfehlung den EmpfängerInnen fremder Herzen ein längeres Leben ermöglichen kann, ist nach den ermittelten Zahlen zwar unsicher. Offensichtlich ist aber: Die Herz-Warteliste würde sehr viel kürzer werden. Mittelfristig dürften dann sogar mehr Herzen für Transplantationen zur Verfügung stehen als von "Hochrisiko-PatientInnen" nachgefragt werden könnten.

Ein solches Szenario läuft jedoch den Interessen der 31 Zentren zuwider, in denen hierzulande Herzen transplantiert werden. Einige müssten schlichtweg schließen, weil sie mangels Bedarf nicht genug Körperteile verpflanzen könnten. Denn aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Schwerpunktbildung kann die Politik einzelnen Zentren die Zulassung für die Übertragung bestimmter Organe entziehen, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Transplantationen nicht nachweisen können. In Baden-Württemberg ist dies bereits passiert: Dort stoppte das Sozialministerium 1999 die Herztransplantationen in der Tübinger Universitätsklinik, weil dort nicht mindestens 20 Herzen pro Jahr verpflanzt worden waren. Profiteure dieser Entscheidung sind die Kliniken in Freiburg und Heidelberg, die seitdem im Südwesten allein befugt sind, Herzen zu transplantieren.

Siehe auch: Marginalie zum Artikel

Siehe auch: Praxis der Herztransplantation gehört auf den Prüfstand. Pressemitteilung vom 17.12.2001
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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo