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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Lebendorgansende bzw. Cross-Over-Lebendspende (Überreuzspende)

»Spenden« aus freien Stücken?

Kommissionen sollen bescheinigen, dass gesunde Menschen Körperteile wirklich freiwillig abgeben

Roberto Rotondo(Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger

März 2000


Bevor sich ein Gesunder eine Niere oder Teile von Leber, Lunge oder Dünndarm entnehmen lässt, um sie auf einen schwer Kranken übertragen zu lassen, müssen laut Transplantationsgesetz zwei Voraussetzungen zweifelsfrei erfüllt sein: Die Entnahme des Organs muss freiwillig erfolgen, und der Geber darf dafür kein Geld kassieren. Dass bei dieser so genannten "Lebendspende" alles mit rechten Dingen zugeht, sollen Kommissionen gewährleisten. Wie sie ihre Aufgabe erfüllen, wollen sie im einzelnen aber nicht verraten.

»Lebendspende« - mit diesem Begriff umschreiben MedizinerInnen die Entnahme von Körperteilen wie Nieren oder Leberstücken bei gesunden Menschen zwecks Transplantation. Erlaubt sind solche riskanten Eingriffe nur dann, wenn eine Kommission sie zuvor gebilligt hat. Und wie sieht die Praxis aus?

Jedes Bundesland muss eine Kommission zur »Lebendspende« einrichten. So verlangt es das Transplantationsgesetz (TPG), das seit Dezember 1997 gilt. Das GutachterInnengremium soll prüfen, ob sich ein gesunder »Spender« ein Körperteil wirklich freiwillig herausnehmen lassen will - oder ob es sich bei dem geplanten Organwechsel womöglich um ein verbotenes Geschäft handelt. Mehr regelt das TPG nicht; es hat aber die Bundesländer beauftragt und ermächtigt, weitere Einzelheiten in Ausführungsgesetzen festzuschreiben, die Zusammensetzung, Verfahrensregeln und Finanzierung der Kommissionen betreffen.

Die Frist ist im Dezember 1999 abgelaufen. Vor diesem Hintergrund hat sich BioSkop e.V. im Januar bei den zuständigen Landesministerien und Landesärztekammern danach erkundigt, wie die Ausführungsgesetze aussehen und wie die Kommissionen praktisch arbeiten. Geantwortet hatten bis Redaktionsschluss Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Die gesetzlichen Vorgaben sind durchweg vage, es fehlen Standards, nach denen die Kommissionen vorzugehen haben. Nur im NRWGesetz ist zwingend vorgeschrieben, dass eine Frau dabeisein muss; in Bremen ist auch das Mitwirken eines PatientInnenvertreters vorgeschrieben. Bayern verlangt, dass die Kommissionsmitglieder im »Benehmen mit (...) den Betroffenenverbänden der Dialysepatienten und der Organtransplantierten« besetzt werden.

Im Dunkeln bleibt, welche diagnostischen Methoden die Kommissionen anwenden sollen, um zu klären, ob die geplante »Lebendspende« wirklich freiwillig erfolgt. Unklar bleibt auch, mit welchen Menschen (EmpfängerIn, Spender-In, Angehörige) die ExpertInnen wie häufig und über welchen Zeitraum Gespräche führen müssen. Die bisherige Praxis ist ziemlich einseitig: So hat die Kommission in NRW im Dezember 1999 insgesamt 11 Beratungsgespräche geführt. Nur in zwei Fällen wurde neben der entnahmewilligen Person auch der Organempfänger befragt.

Dass in NRW auch schon mal gründlicher gearbeitet wurde, zeigt das Beispiel der Kölner Universitätskinderklinik. Seit 1993 wurde dort nach dem so genannten »Münchener Modell« verfahren, um die Motive spendewilliger Personen zu ergründen. Das Modell verlangt, dass MedizinerInnen über einen längeren Zeitraum mehrere Gespräche führen müssen - nicht nur mit »SpenderIn« und EmpfängerIn, sondern auch mit den übrigen Familienmitgliedern. Anschließend gibt es ein gemeinsames Gespräch mit dem potenziellen »Spender« oder der potenziellen »Spenderin«. Es folgt eine etwa sechswöchige »Moratoriumsphase«. Sie soll dazu dienen, dass die Übereinkünfte der vorläufigen Transplantationsvereinbarung überprüft und, falls nötig, noch revidiert werden. Am Abschlussgespräch nehmen nicht nur der »Spender«, sondern auch EmpfängerIn und Team teil. Das »Münchener Modell« zeigt, dass einige MedizinerInnen die »Lebendspende« bisher offenbar sorgfältiger kontrolliert haben, als das nordrhein-westfälische Ausführungsgesetz dies jetzt vorsieht.

Das TPG lässt die Entnahme von Organen bei einer lebenden Person nur zu, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hierzu zählt eine verwandtschaftliche oder »besondere persönliche Verbundenheit« des »Spenders« zum Empfänger. Was dieser Begriff bedeuten soll, wurde im TPG nicht definiert.

Die Lücke, die auch die uns vorliegenden Ausführungsgesetze zum TPG nicht schließen, eröffnet Spielräume. Und die nutzen JuristInnen und MedizinerInnen gern, die vorhaben, die Praxis der Organentnahme auszuweiten. Wie man den Gesetzestext entsprechend interpretieren kann, hat der Göttinger Strafrechtsprofessor Hans-Ludwig Schreiber, der auch die Bundesärztekammer in Sachen Transplantation berät, bereits im Fernsehen vorgeführt. In der NDR-Diskussionssendung Talk vor Mitternacht behauptete Schreiber Anfang Oktober, »dass eine besondere persönliche Verbundenheit durch das Spendebedürfnis selbst entstehen kann«.

Mit dieser kreativen Auslegung will der Jurist rechtfertigen, was PolitikerInnen wie Ex- Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer immer wieder als gesetzwidrig zurückgewiesen hatten: die so genannte »Cross-Over-Lebendspende« oder »Überkreuzspende« zwischen Paaren, die sich gar nicht kennen. Ihre Gemeinsamkeit besteht lediglich darin, dass das gewünschte Organ des gesunden Partners aus medizinischen Gründen nicht der eigenen, kranken Partnerin übertragen werden kann. Schreibers juristische Lösung für solche Fälle: Die Paare sollen die Körperteile einfach untereinander tauschen!

Dabei untersagt das TPG ausdrücklich eine »Lebendspende« unter Unbekannten, ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist mit Strafe bedroht. Doch nicht nur JuristInnen wie Schreiber, auch MedizinerInnen wissen, wie man rechtlichen Vorgaben entgehen kann. Zum Beispiel Professor Günter Kirste, Leiter der Abteilung für Transplantationschirurgie am Klinikum der Universität Freiburg und Vorstandsmitglied der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die hierzulande die »Organspende« koordinieren soll. Im Mai 1999 reiste Kirste in die Schweiz - und führte dort eine »Cross-Over-Spende« mit einem deutschen und einem schweizerischen Ehepaar durch. »Heute«, sagte Kirste im Oktober 1999 der Ärzte Zeitung, »würde ich es auch in Deutschland machen.«

Dass eine solche Praxis hierzulande rechtswidrig ist, hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. In einem Beschluss vom 11. August 1999 erläuterten Deutschlands höchste RichterInnen, dass gemäß TPG Organe zu Lebzeiten nicht für Unbekannte »gespendet« werden dürfen - auch dann nicht, wenn die »Spende« dem Kranken und / oder dem behandelnden Arzt als letzte Chance zum Überleben erscheint. Die Verfassungsbeschwerden gegen das TPG, eingereicht von einem Nierenkranken, einem »Spende«-Willigen und einem Transplantationschirurgen, nahmen die RichterInnen nicht zur Entscheidung an.

Sie begründeten das damit, dass die »postmortale Organentnahme« nach festgestelltem »Hirntod« Vorrang gegenüber der »Lebendspende« haben müsse. Daher lehnten sie die Beschwerde des Nierenkranken ab. Der hatte angegeben, er werde sterben, falls er das Organ nicht erhalte, das ihm ein Mann zugesagt hatte, der ihm weder bekannt war noch nahe stand. Auch zur Verhinderung des Organhandels sei die »postmortale Organentnahme«, so die VerfassungsrichterInnen, vorrangig. Damit wiesen sie die Verfassungsbeschwerde des »Spende«-Willigen zurück, obwohl dieser versichert hatte, dass die beabsichtigte »Organspende« ihm keine finanziellen Vorteile bringe. Außerdem verwies das Gericht auf Informationen des Bundesgesundheitsministeriums. Demnach sei die Organentnahme für »Spender-Innen« keineswegs ein Heileingriff. Vielmehr schade sie ihnen körperlich und gefährde ihre Gesundheit. So werde zum Beispiel der Verlust einer Niere im Sozialhilferecht mit einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 Prozent eingestuft. Zudem habe das Bundessozialgericht festgestellt, dass der unfallbedingte Verlust einer Niere mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent in der gesetzlichen Unfallversicherung zu bemessen sei. Dies gelte auch dann, wenn die andere Niere gesund sei.

Das TPG und die Ausführungen der VerfassungsrichterInnen machen deutlich: Kommissionsgutachten auf der Basis einmaliger Gespräche reichen nicht aus, um die Freiwilligkeit der »Organspende« zu prüfen und dem Handel mit Körperteilen einen Riegel vorzuschieben.

Ohnehin ist fraglich, ob Gutachtergremien überhaupt dem Gesetzesauftrag gerecht werden können. Sicher ist aber: Die Probleme mit der »Lebendspende« werden stetig wachsen - und immer mehr Menschen betreffen, direkt oder indirekt. Warum, verdeutlichte der Hamburger Sozialwissenschaftler Günter Feuerstein 1996 vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages am Beispiel der rund 50.000 Dialyse-PatientInnen. »Man schätzt«, sagte Feuerstein, »dass drei Viertel aller Dialysepatienten für Transplantationen in Frage kommen. Das heißt: Dieser Konflikt, den die Lebendspende im Familienkreis auslösen wird, wird dann in etwa 40.000 Familien getragen.«

© ROBERTO ROTONDO, 2000
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