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Erfahrungsbericht zur Organspende - Angehörigengespräch


Regina*

Unsere Geschichte

Im März 2001 haben wir – meine fünf Kinder und ich – meinen Mann durch einen Unglücksfall verloren. Mitten in der Nacht war in unserem Haus im Ruhrgebiet ein Brand ausgebrochen, wir wurden durch Rauchmelder geweckt.
Mein Mann lief, nachdem wir unseren Jüngsten (damals 5 Jahre alt) nach draußen gebracht hatten, zurück ins Haus, um die anderen Kinder zu holen. Letztlich gelang es der Feuerwehr mit Drehleitern, unsere Kinder, meine Eltern und zwei Gästekinder zu retten. Mein Mann aber ist in dem Rauch zusammengebrochen, er wurde erst relativ spät gefunden. Er hat dann noch sechs Tage im Krankenhaus auf der Intensivstation gelegen. Ich lag ebenfalls dort mit einer Rauchvergiftung.
Zusammen mit meinen Schwiegereltern und den beiden Schwestern meines Mannes haben wir ihn fast ohne Unterbrechung begleiten können. Von Anfang an sagten uns die Ärzte, es bestehe keine Hoffnung.
Trotzdem sind wir dankbar für diese sechs Tage geschenkte Zeit zum Abschied nehmen. Auch unsere Kinder durften ihren Papa besuchen, und wir sind sicher, dass ihm trotz der schweren, durch Sauerstoffmangel verursachten Schädigung seines Gehirns doch noch bewusst geworden ist, dass es den Kindern gut geht, denn nach ihren Besuchen war er deutlich ruhiger.
Am fünften Tag wurden Hirnstrommessungen vorgenommen. Sie bestätigten nur noch einmal, was durch andere Tests schon vorher sicher war: Mein Mann lag im Sterben. An diesem Tag wurden wir gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, meinen Mann als »Organspender« zur Verfügung zu stellen. Ich habe, in Absprache mit den Schwiegereltern und seinen Schwestern, zugestimmt. Vor Augen hatte ich dabei ein 3-jähriges Mädchen aus unserem Kindergarten, das seit einem Jahr mit einem gespendeten Herzen lebt.
Wir haben aber gefordert, dass wir meinen Mann weiter begleiten und dass wir auch nach seinem Tod von ihm Abschied nehmen können. Über Details konnte uns der Intensivmediziner nichts sagen. Im Rückblick wird mir hier noch einmal sehr deutlich, dass mein Mann trotz der Diagnose »Hirntod« in unserem Empfinden noch nicht tot war.
Wir waren für den frühen nächsten Morgen mit einem Arzt der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) verabredet. Der kam dann erst am späten Nachmittag. Unsere Wünsche, meinen Mann bei der Organentnahme, die in einer Nachbarstadt stattfinden sollte, zu begleiten, ihn danach wieder mit in unsere Stadt zu nehmen und dort auch für die Kinder ein Abschiednehmen zu einer zumutbaren Tageszeit zu ermöglichen, waren für diesen Arzt offenbar völlig abwegig; scheinbar waren wir die Ersten mit einem solchen Anliegen, denn er wusste keine Einzelheiten und musste zwischendurch immer wieder mit der Uni-Klinik in der Nachbarstadt telefonieren.
Nachdem er uns wie Unruhestifter behandelt hatte und letztlich keine verbindlichen Zusagen machen konnte, zogen wir unsere Erlaubnis zur Organspende zurück. Seine Reaktion darauf war: »Nicht, dass Ihnen das in einiger Zeit noch sehr Leid tut!«
Diese ganzen Verhandlungen fanden am Bett meines Mannes statt, während wir seine Hände hielten und ihn streichelten. Wir waren nicht laut, aber es herrschte eine gereizte Atmosphäre.
Genau auf diese ungute Stimmung reagierte mein Mann noch, indem sein Puls, der sonst immer auf gleichem Niveau war, auf einmal erheblich stieg. Als dieser Arzt gegangen war und wir mit unseren Gefühlen wieder ganz bei meinem Mann waren, beruhigte sich auch sein Puls. Kurz danach wurde dann die Beatmung unterbrochen. Wir hatten danach Zeit, so viel wir brauchten, um meinen jetzt toten Mann zu verabschieden. Der behandelnde Intensiv-Mediziner hat uns in unserer Entscheidung unterstützt.
Im ersten Jahr nach diesem Unglück hatte ich sehr, sehr viel zu organisieren; wir hatten nichts retten können, das Haus musste komplett renoviert werden. Erst seit wenigen Wochen arbeite ich mein Unbehagen über die Umstände bei Organtransplantationen auf.
Inzwischen bin ich, sind wir als Familie froh, dass wir meinen Mann vor der Organentnahme bewahrt haben, denn Erfahrungsberichte von Menschen, die Angehörige zur Explantation freigegeben haben, haben uns sehr bewegt und aufgewühlt. Damals haben wir nach dem Gefühl in unserem Bauch gehandelt. Entscheidend war, dass unsere Bedürfnisse nach einem würdevollen Abschied nicht erfüllt worden wären, wenn wir der Organentnahme zugestimmt hätten.
Heute sind wir der Überzeugung, dass wir ganz unbewusst auch meinen sterbenden Mann in seinem Recht auf ein würdevolles Sterben beschützt haben. Ich weiß nicht, wie die Entscheidung ausgefallen wäre, wenn ich dem Arzt der DSO allein gegenüber gestanden hätte. Viel Druck ist in dieser Extremsituation wohl nicht um einen Angehörigen zu bewegen, stellvertretend Ja zum Entnehmen von Organen zu sagen.
Ich bin heute überzeugt, dass nur jeder Mensch persönlich einer Organentnahme zustimmen kann. Diese Entscheidung muss in Kenntnis der Umstände gefällt werden. Ich bin heute überzeugt, dass Organspende und ein Sterben in Würde nicht vereinbar sind. Ich bin heute überzeugt, dass ein hirntoter Mensch ein sterbender Mensch ist, der Anspruch auf unsere Zuwendung und Begleitung hat.
Ich versuche, in meiner persönlichen Umgebung das Thema kritisch zu beleuchten. Ich erfahre, dass – trotz aller Appelle an unser Mitgefühl – bei vielen Menschen eine Abwehr da ist, ihre Organe abzugeben, eine Abwehr, die sie oft gar nicht rational begründen können. Das kritische Hinterfragen von Organspenden wird in den nächsten Jahren mein Thema sein.

Regina


* Autorin ist mir bekannt
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update: 10.05.2004    by: Roberto Rotondo