Die Anzahl der Patienten und den ihnen nahestehenden Personen, die betroffen sind durch die Möglichkeit zur Lebendspende, ist sehr groß. In Deutschland werden derzeit nach Angaben des Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. (KfH) ca. 45.000 Dialysepatienten behandelt. Jährlich kommen ca. 12.000 Menschen hinzu, die an chronischem Nierenversagen erkranken. Die Zahl der Patienten, die auf eine Nierenttransplantation warten beträgt derzeit ca. 11.000. Unter Transplantationsmedizinern hat die Lebend-Transplantation von Lebern zunehmend an Bedeutung gewonnen. Bei dieser Technik, die vornehmlich bei Kindern angewandt wird, wird dem Kind ein kleiner Leberlappen eines Elternteiles transplantiert. Die Forschung untersucht die Möglichkeit von Lungen-, Bauchspeicheldrüsen- und Dünndarm-Lebendspenden. Die Anzahl der Patienten, für diese Organtransplantationen in Frage kommen, sind geringer als bei der Niere.
Die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Christa Nickels vom 23. April 1999 auf eine Anfrage der Abgeordneten Christa Reichert (CDU/CSU) (Drucksache 14/868) legt jedoch offen, daß sich das Verfahren zur Lebendspende für alle möglichen oder vorstellbaren Lebend-Organtransplantationen unserer Ansicht nach noch in einem Forschungsstadium befindet und längst nicht als anerkanntes, sicheres Verfahren bezeichnet werden kann.
Beispielsweise wurden zwischen 1991 und 1998 nur 1084 Nieren-Lebendspenden durchgeführt. Im gleichen Zeitraum wurden lediglich 111 Leber-Lebendspenden durchgführt.
Das Transplantationsgesetz (TPG) und auch ein Verfassungsgerichtsurteil vom 11. August 1999 stellen jedoch klar, daß der postmortalen Organentnahme Vorrang gegenüber der Lebendspende einzuräumen ist. Eine weitere Ausweitung dieser Technologie, trotz einer großen Anzahl von Patienten, die betroffen sind, ist nicht Ziel des TPG.
In § 8 des TPG werden Auflagen darüber gemacht, wann eine Entnahme von Organen bei einem Lebenden durchgeführt werden darf. In § 8 , Abs. 3 des TPG wird bestimmt, daß die Zusammensetzung der Kommission, das Verfahren und die Finanzierung durch Landesrecht bestimmt wird. Das TPG hat somit nur den äußeren Rahmen festgelegt. Hinweise auf eine mögliche Verfahrensweise zur Begutachtung von potentiellen Spendern und Empfängern gibt ein Verfassungsgerichtsurteil vom 11. August 1999 (BVerfG, 1 BvR 2181/98 vom 11.8.1999, Absatz-Nr. (1 - 93)).
Die Verfassungsrichter lehnten die Beschwerden von drei Beschwerdeführern (Bf) ab. Die Beschwerdeführer:
Das praktische Vorgehen bei der Prüfung durch die Kommission am Beispiel des sogenannten Münchener Modell |
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Das sogenannte Münchener Modell wird z.B. seit Seit etwa zwei Jahren von der Universitäts-Kinderklinik in Köln angewendet, um bestehende Persönlichkeits- oder Beziehungsstörungen psychologisch zu untersuchen. Das Transplantationsgesetz schreibt nun für alle Fälle von Lebendspenden psychiatrisch psychologische Gutachten vor.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß die Zulässigkeit der Organentnahme sich nicht nur auf Verwandte ersten oder zweiten Grades bezieht, sondern auch auf Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen.3
Auf eine Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (SPD) zum Organhandel und eventueller Schritte der Bundesregierung dagegen, hat die Bundesregierung in Bezug auf die Lebendspende noch 1988 auf einen Beschluß der europäischen Gesundheitsminister vom Nov. 1987 bezogen, der besagte, daß die Lebendspende einzuschränken sei und wo möglich Schritt um Schritt zu beseitigen. Weiterhin wurde in der Antwort ein Transplantationszentrum erwähnt, daß die Übertragung von Organen von lebenden Spendern ganz eingestellt hat, um der Kommerzialisierung der Organtransplantation entgegenzuwirken.4
Der Zusammenhang zwischen der Lebendspende von Organen und der Kommerzialisierung wurde demnach auch von der Bundesregierung gesehen. Dies bestätigen auch die Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN vom Februar 1989 zum Organhandel, Persönlichkeitsrechte, Kinderhandel und kriminelle Organentnahme insbesondere bei Kindern in der Dritten Welt.
Zu diesem Zeitpunkt wollte die Bundesregierung die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation dazu auffordern, darauf hinzuwirken, daß die Ärzte keine der Transplantation dienenden Gewebeverträglichkeitsuntersuchungen bei lebenden Personen durchführen, die mit dem potentiellen Empfänger nicht im ersten Grade verwandt sind, und ihnen keine Organe entnehmen. [...] Die Bundesregierung räumt der ethischen Haltung der deutschen Ärzteschaft zur Organtransplantation mit ihrer gegen jeden Organhandel gerichteten Selbstverpflichtung einen hohen Stellenwert ein. Sie verweist auch auf den Transplantationskodex der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren, deren Grundsatz zum damaligen Zeitpunkt beinhaltete, daß eine Organentnahme zwischen Nicht-Verwandten unzulässig sei und nur in Ausnahmefällen (Ehepartnern) zu genehmigen. Außerdem konnte die Bundesregierung die Gefahr und die Bedenken nicht teilen, daß der Spender sich einer lebensbedrohlichen Situation aussetzt, da sie u.a eine zunehmende Zurückhaltung der Operateure bei der Lebendspende wahrnahm.5
Auch die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Hamburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN im September 1990 ließ keinen Zweifel daran, daß mit der Ausweitung der Lebendspende auf Nicht-Verwandte die Gefahr der Kommerzialisierung nicht auszuschließen sei. Sie verweist auf den Beschluß der Arbeitsgemeinschaft aus dem Jahre 1986, [...] wonach wegen möglicherweise bestehender unbemerkbar vorliegender finanzieller Gesichtspunkte die Gefahr einer Kommerzialisierung vorliegen könnte und deshalb Organtransplantationen zwischen Nichtverwandten grundsätzlich nicht vorgenommen werden sollten. [...] Die Bundesregierung begrüßt die Entwicklung noch weitergehender Möglichkeiten der Lebendspende nicht. Die Bundesregierung vertraut weiterhin auf die kritische Einstellung der Transplantationszentren in der Bundesrepublik Deutschland.6
Eine Fehleinschätzung, wenn man die heutige Praxis kennt. Immerhin hat ein Transplanteur schon einen Ehrenbambi dafür verliehen bekommen, daß er eine seiner gesunden Nieren, einem ihm unbekannten Dialyse-Patienten spendete. Seine Motivation: Ich will die emotionale Spende für Verwandte, Lebensgefährten und Freunde unterstützen und Ängste nehmen.7
Prof. Schreiber machte in Bonn vor dem Gesundheitsausschuß deutlich, wie leicht der kritische Anspruch der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren aufgegeben wird. Zwar sah er immer noch, daß die Gefahren der Lebendspende im Problem der Freiwilligkeit einerseits und der möglichen Einführung des Organhandels andererseits, aber dennoch konstatierte er: was jetzt vorgesehen ist, scheint mir richtig. Er sah eher die Probleme bei Verwandten als möglicherweise in anderen Wahlverwandtschaften, welcher Art diese auch immer sind.8
Weshalb die Bundesregierung die berechtigten Bedenken, die sie über Jahre hinweg bewog, die Lebendspende unter Nicht-Verwanden abzulehnen, auch um dem Organhandel jegliche Grundlage zu entziehen, ist mir schleierhaft. Beispielsweise vollzieht sich der Handel mit Frauen und Kindern aus sexuellen Gründen vom Süden zum Norden. In Holland kommen 60% der Frauen und Kinder, die in der Sex-Industrie enden von den Philippinen, der Dominikanischen Republik, Nigeria und anderer Dritte Welt Länder. Zwischen 1975 und 1980 stammten 90% der international adoptierten Kinder in den USA aus Asien und Lateinamerika.9 Wie frei sind diese Frauen und Kinder in ihrer Abhängigkeit eine Organspende abzulehnen? Wie frei kann eine Frau eine Organspende ablehnen, die mit einem Deutschen verheiratet ist, der sie im Ausland abgeholt hat, um mit ihr zu leben?
Das Transplantationsgesetz sieht zwar vor, daß eine Kommission prüft, ob wirklich eine freiwillige Entscheidung ohne Zwang vorliegt. Aber, wer wird in den oben beschrieben Fällen gegen eine Organentnahme entscheiden?
1Psychologische Begutachtung. In: Der Dialysepatient 6/98, S. 32-37.
2Manuskript des Gesetzesbeschlusses des Deutschen Bundestages vom 25.6.1997. Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG), § 16 und § 17.
3Ebd., § 7.
4Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode. Drucksache 11/3748, Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Pfeiffer vom 08.12.88, S. 26 f.
5Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode. Drucksache 11/3993, Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt-Bott und der Fraktion DIE GRÜNEN vom Februar 1989 zum Organhandel, Persönlichkeitsrechte, Kinderhandel und kriminelle Organentnahme insbesondere bei Kindern in der Dritten Welt. 15.02.89, S. 4 f.
6Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode. Drucksache 11/7980, Große Anfrage der Abgeordneten Frau Schmidt (Hamburg) und der Fraktion DIE GRÜNEN vom 26.09.90 zum Thema Probleme der modernen Transplantationsmedizin I bis IV, S. 39 f.
7Hamburger Abendblatt vom 27./28. Juli 1996, Nr. 174, S. 48.
8Schreiber, . Unkorrigiertes Exemplar des Protokolls. 13. Wahlperiode. Ausschuß für Gesundheit. 67. Sitzung am Mittwoch, dem 09.10.1996, S. 34.
9Raymond, J. G. Organ Trade And The North-South Problem. In: Organtransplantation und kulturelle Unterschiede. Fritsch-Oppermann (Hg.) Loccumer Protokolle 61/91, S. 112 f.