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Bundestagsdrucksachen und Plenarprotokolle zur Organspende


Deutscher Bundestag - Drucksache 13/4368 vom 17.04.1996

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Antrag

der Abgeordneten Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirschner, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller, Gerd Andres, Dr. Gisela Babel, Ernst Bahr, Doris Barnett, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Rudolf Bindig, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Rudolf Braun (Auerbach), Tilo Braune, Hans Büttner (Ingolstadt), Gertrud Dempwolf, Renate Diemers, Freimut Duve, Ilse Falk, Ulf Fink, Leni Fischer (Unna), Norbert Formanski, Paul K. Friedhoff, Erich G. Fritz, Anke Fuchs (Köln), Hans-Joachim Fuchtel, Arne Fuhrmann, Monika Ganseforth, Angelika Graf (Rosenheim), Dieter Grasedieck, Claus-Peter Grotz, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Karl Hermann Haack (Extertal), Manfred Heise, Ernst Hinsken, Josef Hollerith, Dr. Dionys Jobst, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Egon Jüttner, Ulrich Junghanns, Dr. Harald Kahl, Sabine Kaspereit, Dr. Hans-Hinrich Knaape, Eva-Maria Kors, Volker Kröning, Christine Kurzhals, Werner Labsch, Robert Leidinger, Werner Lensing, Christian Lenzer, Editha Limbach, Sigrun Löwisch, Uwe Lühr, Dieter Maaß (Herne), Winfried Mante, Erwin Marschewski, Ingrid Matthäus-Maier, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Hans Michelbach, Jürgen W. Möllemann, Engelbert Nelle, Gerhard Neumann (Gotha), Günther Friedrich Nolting, Leyla Onur, Friedhelm Ost, Dr. Gerhard Päselt, Kurt Palis, Dr. Willfried Penner, Hans-Wilhelm Pesch, Anton Pfeifer, Beatrix Philipp, Ronald Pofalla, Christa Reichard (Dresden), Erika Reinhardt, Kurt J. Rossmanith, Dr. Hansjörg Schäfer, Dieter Schanz, Dietmar Schlee, Michael von Schmude, Dr. Mathias Schubert, Dr. Erika Schuchardt, Wolfgang Schulhoff, Volkmar Schultz (Köln), Frederick Schulze, Ilse Schumann, Bodo Seidenthal, Heinz-Georg Seiffert, Wieland Sorge, Bärbel Sothmann, Dr. Max Stadler, Ludwig Stiegler, Dr. Peter Struck, Dr. Bodo Teichmann, Jella Teuchner, Dietmar Thieser, Dr. Klaus Dieter Uelhoff, Siegfried Vergin, Karsten D. Voigt (Frankfurt), Michael Wonneberger, Heidemarie Wright, Elke Wülfing

Spende, Entnahme und Übertragung von Organen

Der Bundestag wolle beschließen:

Einer gesetzlichen Regelung für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen sollen unter anderem folgende Eckpunkte zugrunde gelegt werden:

1. Organe sollen bei Verstorbenen nur entnommen werden können, wenn der Tod des Organspenders durch zwei Ärzte festgestellt ist, die den Verstorbenen unabhängig voneinander untersucht haben. Zur Feststellung des Todes ist als sicheres Zeichen für den eingetretenen Tod der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion oder der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nachzuweisen.

2. Die zu Lebzeiten abgegebene Erklärung einer Person für oder gegen eine Organspende nach dem Tode oder die Übertragung dieser Entscheidung auf eine andere Person ist strikt zu beachten. Ist dem Arzt, der eine Organentnahme beabsichtigt, weder eine Einwilligung noch ein Widerspruch des Verstorbenen bekannt, soll die Entnahme von Organen nach festgestelltem Tod nur zulässig sein, wenn ein Arzt den nächsten Angehörigen über eine mögliche Organentnahme unterrichtet und dieser ihr zugestimmt hat. Der nächste Angehörige soll verpflichtet sein, bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu beachten. Er soll mit dem Arzt vereinbaren können, daß seine Zustimmung als erteilt gilt, wenn er innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Erklärungsfrist der Entnahme nicht widersprochen hat. Der Arzt soll verpflichtet sein, den Inhalt der Unterrichtung und einer möglichen Vereinbarung sowie die ihm zugehenden Erklärungen aufzuzeichnen und dem nächsten Angehörigen Gelegenheit zur Einsichtnahme zu geben. Dem nächsten Angehörigen soll eine volljährige Person gleichstehen, die dem Verstorbenen in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat; sie soll neben den nächsten Angehörigen treten.
Hatte der Verstorbene die Entscheidung über eine Organentnahme einer bestimmten Person übertragen, soll diese an die Stelle des nächsten Angehörigen treten. Die Übertragung der Entscheidung soll vom vollendeten 16. Lebensjahr an erklärt werden können.

Bonn, den 17. April 1996

Rudolf Dreßler, Rudolf Scharping, Klaus Kirschner, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Horst Seehofer, Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Dieter Thomae, Wolfgang Zöller, Gerd Andres, Dr. Gisela Babel, Ernst Bahr, Doris Barnett, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Rudolf Bindig, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Rudolf Braun (Auerbach), Tilo Braune, Hans Büttner (Ingolstadt), Gertrud Dempwolf, Renate Diemers, Freimut Duve, Ilse Falk, Ulf Fink, Leni Fischer (Unna), Norbert Formanski, Paul K. Friedhoff, Erich G. Fritz, Anke Fuchs (Köln), Hans-Joachim Fuchtel, Arne Fuhrmann, Monika Ganseforth, Angelika Graf (Rosenheim), Dieter Grasedieck, Claus-Peter Grotz, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Karl Hermann Haack (Extertal), Manfred Heise, Ernst Hinsken, Josef Hollerith, Dr. Dionys Jobst, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Egon Jüttner, Ulrich Junghanns, Dr. Harald Kahl, Sabine Kaspereit, Dr. Hans-Hinrich Knaape, Eva-Maria Kors, Volker Kröning, Christine Kurzhals, Werner Labsch, Robert Leidinger, Werner Lensing, Christian Lenzer, Editha Limbach, Sigrun Löwisch, Uwe Lühr, Dieter Maaß (Herne), Winfried Mante, Erwin Marschewski, Ingrid Matthäus-Maier, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Hans Michelbach, Jürgen W. Möllemann, Engelbert Nelle, Gerhard Neumann (Gotha), Günther Friedrich Nolting, Leyla Onur, Friedhelm Ost, Dr. Gerhard Päselt, Kurt Palis, Dr. Willfried Penner, Hans-Wilhelm Pesch, Anton Pfeifer, Beatrix Philipp, Donald Pofalla, Christa Reichard (Dresden), Erika Reinhardt, Kurt J. Rossmanith, Dr. Hansjörg Schäfer, Dieter Schanz, Dietmar Schlee, Michael von Schmude, Dr. Mathias Schubert, Dr. Erika Schuchardt, Wolfgang Schulhoff, Volkmar Schultz (Köln), Frederick Schulze, Ilse Schumann, Bodo Seidenthal, Heinz-Georg Seiffert, Wieland Sorge, Bärbel Sothmann, Dr. Max Stadler, Ludwig Stiegler, Dr. Peter Struck, Dr. Bodo Teichmann, Jella Teuchner, Dietmar Thieser, Dr. Klaus Dieter Uelhoff, Siegfried Vergin, Karsten D. Voigt (Frankfurt), Michael Wonneberger, Heidemarie Wright, Elke Wülfing

Begründung

Der Antrag bestimmt Eckpunkte für zwei wesentliche, in einem Transplantationsgesetz zu treffende Regelungen:

1. zur Feststellung des Todes,

2. zur Entscheidung der Angehörigen, wenn sich der Verstorbene zur Organspende nicht erklärt hatte.

Zu Nummer 1 (Feststellung des Todes)

Organe dürfen einem Menschen - von dem Sonderfall der unter eng begrenzten Voraussetzungen zulässigen Lebendspende abgesehen - nur entnommen werden, wenn sein Tod eindeutig und zweifelsfrei ärztlich festgestellt ist. Diese Feststellung darf erst getroffen werden, wenn der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion (Hirntod) oder der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf gemäß § 5 des Entwurfs eines Transplantationsgesetzes (Drucksache 13/4355) nachgewiesen und dokumentiert ist. Denn der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion ist ein sicheres Zeichen für den eingetretenen Tod eines Menschen und auch der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf hat nach kurzer Zeit den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion zur Folge.

Der Nachweis des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion unter künstlicher Aufrechterhaltung der Atmungsfunktion und des Blutkreislaufs ist an besondere, unumgängliche Bedingungen sowie an eine Reihe von Untersuchungen gebunden. Hierzu hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer seit 1982 "Kriterien des Hirntodes - Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes" erarbeitet und mehrfach entsprechend dem Stand der medizinischen Wissenschaft fortgeschrieben (vgl. die letzte Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zum endgültigen Ausfall der gesamten Hirnfunktion ("Hirntod") als sicheres Todeszeichen, abgedruckt im Deutschen Ärzteblatt 90, Heft 44 vom 5. November 1993, S. B 2177 bis 2179). An der Zuverlässigkeit der in diesen Empfehlungen der Bundesärztekammer genannten Kriterien und Untersuchungsverfahren zur Feststellung der klinischen Zeichen des Todes bestehen keine begründeten Zweifel.

Die Bewertung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß und dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1995. Sie hat die Auffassung der überwältigenden Mehrheit der deutschen und internationalen Ärzteschaft bestätigt, daß mit dem endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion der Tod des Menschen eingetreten ist. Dieses im Zuge der Intensivmedizin entwickelte Todeskriterium liegt den rechtlichen Regelungen zur Organtransplantation aller anderen europäischen Länder sowie den USA und Kanadas zugrunde. Es ist seit 1967 auch in die Praxis der Organtransplantation in Deutschland eingegangen.

Der Mensch ist mit dem Eintritt des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion tot, weil sein Organismus dann unwiderruflich zu einer zentralen Selbststeuerung nicht mehr in der Lage ist. Jede Möglichkeit der bewußten Wahrnehmung, d. h. auch der Schmerzempfindung, des Denkens usw. ist unwiederbringlich verloren; eine Wiedererlangung des Bewußtseins ist ausgeschlossen. Das Gehirn ist von der Durchblutung abgekoppelt, seine Zellen zerfallen, auch wenn der übrige Körper noch künstlich durchblutet wird. Die Situation wird von Medizinern mit dem Begriff "Innere Enthauptung" umschrieben. Anders als andere Organe wie das Herz, Lunge und Niere usw. ist das Gehirn in seiner Funktion insgesamt weder durch technische Apparate noch durch eine Transplantation ersetzbar. Die intensivmedizinische Aufrechterhaltung von Kreislauf und Atmung für einen begrenzten Zeitraum ändert an dieser Unersetzlichkeit des Gehirns nichts.

Aus der gesetzliche Anerkennung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion als sicheres Todeszeichen folgt zugleich, daß der Ausfall nur von Teilen der Hirnfunktion nicht als Todeszeichen anzusehen ist. Dies gilt insbesondere auch für in einem dauerhaften Koma liegende Menschen mit dem apallischen Syndrom und für Neugeborene mit schwersten Formen angeborener Mißbildungen des Gehirns und des äußeren Schädels (Anenzephale). Diese Menschen sind nicht tot.

Die Argumente gegen den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion als Zeichen für den eingetretenen Tod des Menschen sind nach dem Ergebnis der Anhörung als widerlegt zu betrachten:

Die Tatsache, daß nach Eintritt des Hirntodes der übrige Körper im Falle künstlicher Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf noch durchblutet ist, spricht nicht gegen den eingetretenen Tod des Menschen. Auch nach endgültigem, nicht behebbarem Herzstillstand (der unbestritten als Tod verstanden wird) nimmt der Tod einen prozeßhaften Verlauf mit allmählichem Absterben aller Körperzellen. Das Gehirn, dessen gesamte Funktion endgültig, nicht behebbar, d. h. unwiederbringlich, ausgefallen ist, zerfällt auch bei künstlich aufrechterhaltener Atmungs- und Kreislauffunktion unaufhaltsam (aseptische Kolliquationsnekrose).

Soweit auf die Möglichkeit einer fehlerhaften oder unvollständigen Feststellung des Hirntodes hingewiesen wird, soll dem durch Verfahrensregelungen im Transplantationsgesetz (Feststellung durch zwei von der Organentnahme und - transplantation unabhängige Ärzte, die den Verstorbenen unabhängig voneinander untersuchen) Rechnung getragen werden (§ 5 des Entwurfs eines Transplantationsgesetzes,Drucksache 13/4355).

Soweit angenommen wird, daß auch nach Eintritt des Hirntodes noch Zeichen für Restfunktionen des Gehirns erkennbar seien, werden in der medizinischen Wissenschaft allgemein konsentierte physiologische, anatomische oder biologische Zusammenhänge außer acht gelassen. So kommen z. B. durch äußere Reize hervorrufbare reflektorische Bewegungen ausschließlich wegen des noch intakten Rückenmarks zustande und sind kein Zeichen für eine Gehirntätigkeit.

Soweit Zweifel am Tod durch endgültigen nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion auf der jahrtausendelangen und in der Bevölkerung verankerten Erfahrung des Todes als Stillstand von Atmung und Herzschlag mit den entsprechenden sichtbaren äußeren Zeichen beruhen, sind sie im Rahmen einer gesellschaftlichen Diskussion nachvollziehbar. Sie sind jedoch medizinisch angesichts des erreichten Standes der medizinischen Wissenschaft und der intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten des Herz- und Atemstillstands nicht begründet. Auch bei Stillstand von Atmung und Herzschlag ist der Tod erst mit dem kurz danach folgenden endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion eingetreten.

Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, vor diesem Hintergrund eine eindeutige rechtliche Grenzziehung zwischen Leben und Tod zu bestimmen. Dabei ist es notwendig, im biologischen Prozeß des Absterbens des Organismus den maßgeblichen Punkt anhand medizinisch-naturwissenschaftlicher, zuverlässig feststellbarer Kriterien festzulegen, von dem an der Mensch nicht mehr lebt und das Gebot des Lebensschutzes deshalb keine Schutzwirkung mehr entfaltet. Diese entscheidende Zäsur ist der endgültige, nicht behebbare Ausfall der gesamten Hirnfunktion.

Da diese Zäsur den Schutzbereich des Artikels 2 Abs. 2 des Grundgesetzes begrenzt, sind an das Verfahren zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion strenge Anforderungen zu stellen, weil das Recht auf Leben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Höchstwert darstellt. Die entsprechenden Vorgaben werden in § 5 des Entwurfs eines TransplantationsgesetzesDrucksache 13/4355) festgelegt. Die einzelnen medizinischen Verfahrensschritte zur Feststellung des Todes bleiben den Richtlinien der Bundesärztekammer überlassen, die insoweit den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft feststellen kann. Eine gesetzliche Verankerung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion als lediglich formale Voraussetzung für die Organentnahme ohne gleichzeitige Anerkennung als Todeskriterium kann nicht in Betracht kommen.

Die Organentnahme wäre in diesem Fall eine vom Gesetz zugelassene Tötungshandlung des entnehmenden Arztes. Dies würde dem Tötungsverbot und dem ärztlichen Standesrecht diametral zuwiderlaufen. Aus gutem Grunde hat unsere Rechtsordnung eine Tötung selbst auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen als Verbrechen nach § 216 StGB unter Strafe gestellt. Eine Änderung dieses Lebensschutzes mit dem Ziel, eigenes menschliches Lebens zugunsten eines anderen zu opfern, ist abzulehnen. Zu Nummer 2 (Entscheidung der Angehörigen, wenn sich der Verstorbene zur Organspende nicht erklärt hatte) Die Würde und das Persönlichkeitsrecht des Menschen, die über den Tod hinaus fortwirken, gebieten es, auch den Leichnam vor unzulässigen und mißbräuchlichen Eingriffen zu schützen. Diesem postmortal weiterwirkenden Persönlichkeitsrecht steht eine Organentnahme nicht entgegen, wenn der Verstorbene sich zu Lebzeiten hiermit einverstanden erklärt hatte. Hatte er ihr widersprochen, ist die Organentnahme immer unzulässig.

Den Menschen, die sich nicht selbst entscheiden möchten, soll ausdrücklich die Möglichkeit gegeben werden, eine Person ihres Vertrauens zu benennen, die nach ihrem Tode an ihrer Stelle die Entscheidung über eine Organspende treffen soll. Hat ein Verstorbener auch hiervon keinen Gebrauch gemacht, ist eine Regelung darüber notwendig, ob dann den nächsten Angehörigen ein Entscheidungsrecht über die Organentnahme zustehen soll.

Derzeit werden nur etwa 5% der Organentnahmen aufgrund einer zu Lebzeiten dokumentierten Einwilligung des Verstorbenen durchgeführt. Nach allen bisherigen Erfahrungen ist - auch bei umfassender Aufklärung der Bevölkerung - nicht zu erwarten, daß jeder Bürger zu Lebzeiten eine Erklärung zur postmortalen Organspende abgibt. Die Nichtabgabe einer solchen Erklärung kann die unterschiedlichsten persönlichen Gründe haben und ist vom Gesetzgeber als Ausdruck der Würde und des Selbstbestimmungsrechts des Menschen gerade auch in Angelegenheiten, die seinen Tod betreffen, zu respektieren.

Dies gilt um so mehr, als nur etwa 0,6% der Verstorbenen als Spender lebenswichtiger Organe in Betracht kommen. Daher bedarf es einer Regelung darüber, ob den nächsten Angehörigen ein Entscheidungsrecht über die Organentnahme dann zusteht, wenn sich der Verstorbene dazu nicht geäußert hatte.

Nach festgestelltem Tod ergibt sich das Entscheidungsrecht der nächsten Angehörigen über eine mögliche Organentnahme bei dem Verstorbenen aus ihrem durch Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Totensorgerecht. Es ist im übrigen auch ein Gebot der Pietät, diejenigen in die Entscheidung über eine postmortale Organentnahme einzubeziehen, die dem Verstorbenen am nächsten gestanden haben. Im Transplantationsgesetz ist allerdings klarzustellen, daß dieses Recht subsidiär nur dann zum Zuge kommt, wenn keine Erklärung des Verstorbenen zur postmortalen Organspende vorliegt. Auch dann müssen die Angehörigen einen mutmaßlichen Willen des Verstorbenen beachten, d.h. die zu Lebzeiten geäußerte Überzeugung des Verstorbenen und andere wesentliche Anhaltspunkte, die die Einstellung des Verstorbenen zur Frage einer Organspende nach seinem Tod vermuten lassen.

Der Kreis der nächsten Angehörigen soll in einer gesetzlichen Regelung festgelegt werden. Dabei soll eine volljährige Person, die dem Verstorbenen in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat, neben den nächsten Angehörigen zur Entscheidung berufen sein. Hat der Verstorbene keine nächsten Angehörigen oder keine diesen gleichgestellte Person oder ist keine dieser Personen erreichbar, soll eine Organentnahme unzulässig sein.

17.04.1996

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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo