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Bundestagsdrucksachen und Plenarprotokolle zur Organspende


Deutscher Bundestag - Drucksache 13/4114 vom 14.03.1996

Eine Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Texte von Bundestagsdrucksachen kann nicht übernommen werden. Maßgebend ist die Papierform der Drucksachen. Aus technischen Gründen sind Tabellen nicht formatgerecht und Grafiken gar nicht in den Texten enthalten. Teile der Drucksachen (Anlagen), die z. B. im Kopierverfahren hergestellt wurden, fehlen ebenfalls.

Antrag

der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Manfred Opel, Robert Antretter, Wolfgang Behrendt, Hans-Werner Bertl, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Eberhard Brecht, Eva-Maria Bulling-Schröter, Edelgard Bulmahn, Hans Martin Bury, Marion Caspers-Merk, Peter Conradi, Christel Deichmann, Dr. Marliese Dobberthien, Petra Ernstberger, Elke Ferner, Gabriele Fograscher, Dagmar Freitag, Katrin Fuchs (Verl), Arne Fuhrmann, Norbert Gansel, Günter Gloser, Günter Graf (Friesoythe), Dieter Grasedieck, Hans-Joachim Hacker, Manfred Hampel, Christel Hanewinckel, Alfred Hartenbach, Dr. Liesel Hartenstein, Dieter Heistermann, Reinhold Hemker, Rolf Hempelmann, Dr. Barbara Hendricks, Reinhold Hiller (Lübeck), Stephan Hilsberg, Frank Hofmann Volkach), Eike Hovermann, Brunhilde Irber, Gabriele Iwersen, Jann-Peter Janssen, Sabine Kaspereit, Marianne Klappert, Nicolette Kressl, Eckart Kuhlwein, Konrad Kunick, Rolf Kutzmutz, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Klaus Lennartz, Erika Lotz, Dr. Christine Lucyga, Heide Mattischeck, Ulrike Mehl, Angelika Mertens, Adolf Ostertag, Albrecht Papenroth, Georg Pfannenstein, Karin Rehbock-Zureich, Reinhold Robbe, Otto Schily, Dieter Schloten, Dagmar Schmidt (Meschede), Regina Schmidt-Zadel, Heinz Schmitt (Berg), Walter Schöler, Gisela Schröter, Reinhard Schultz (Everswinkel), Dr. R. Werner Schuster, Dr. Angelica Schwall-Düren, Rolf Schwanitz, Lisa Seuster, Erika Simm, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Wieland Sorge, Wolfgang Spanier, Joachim Tappe, Jella Teuchner, Wolfgang Thierse, Franz Thönnes, Uta Titze-Stecher, Adelheid Tröscher, Ute Vogt (Pforzheim), Hans Wallow, Reinhard Weis Stendal), Matthias Weisheit, Hildegard Wester, Dr. Norbert Wieczorek, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Hanna Wolf (München)

Kriterien für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen

Der Bundestag wolle beschließen:

Einer gesetzlichen Regelung für die Spende, Entnahme und Übertragung von menschlichen Organen sollen u. a. folgende Eckpunkte zugrunde gelegt werden:

1. Organe dürfen zum Zwecke der Transplantation dann entnommen werden, wenn

a) der Eintritt des Todes zweifelsfrei anhand von sog sicheren Todeszeichen festgestellt wurde, die in der Gesellschaft und in der gesamten Medizin akzeptiert sind, oder bei

b) besonders empfindlichen Organen wie z. B. Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse und Darm, wenn durch die zweifelsfreie und sichere Diagnose von irreversiblem Hirnversagen (sog. "Hirntod") nachweisbar eine Schwelle erreicht ist, von der an der Prozeß des Sterbens unumkehrbar geworden ist und der Tod unmittelbar bevorsteht und

c) die unter Punkt 2 geforderten Bedingungen erfüllt sind.

2. Jeder Mensch hat einen persönlichen Anspruch darauf, nach zweifelsfrei festgestelltem Eintritt eines irreversiblen Hirnversagens nicht ohne Behandlungsauftrag am Leben erhalten zu werden, sondern in Würde zu sterben. Das menschliche Leben ist grundgesetzlich gegen jede externe Verfügung geschützt (Artikel 2 Abs. 2 GG). Trotzdem steht es jedem Menschen frei, durch die Einwilligung in eine Organspende sein Einverständnis zu einer kurzzeitigen Lebensverlängerung im Interesse einer Lebensrettung bzw. Leidensminderung Dritter zu geben, wenn die unter Punkt 1 b) gestellten Bedingungen erfüllt sind. Das Vorliegen einer persönlichen, nach umfassender Information bewußt abgegebenen Einwilligung ist die unabdingbare Voraussetzung für die Entnahme von Organen bei einem Menschen.

Die Organspende von Kindern ist ein problematischer Ausnahmefall. Eine Regelung, die den Eltern eine aufgrund ihres grundgesetzlich garantierten Sorgerechts (Artikel 6 Abs.2 GG) mögliche stellvertretende Entscheidung abverlangt, ist nicht zumutbar. Es muß deshalb ein Weg gefunden werden, der den Eltern eine stellvertretende Entscheidung einräumt und dem unteilbaren Prinzip der Menschenwürde größtmöglich Rechnung trägt.

Bonn, den 14. März 1996

Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Manfred Opel, Robert Antretter, Wolfgang Behrendt, Hans-Werner Bertl, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Eberhard Brecht, Eva-Maria Bulling-Schröter, Edelgard Bulmahn, Hans Martin Bury, Marion Caspers-Merk, Peter Conradi, Christel Deichmann, Dr. Marliese Dobberthien, Petra Ernstberger, Elke Ferner, Gabriele Fograscher, Dagmar Freitag, Katrin Fuchs (Verl), Arne Fuhrmann, Norbert Gansel, Günter Gloser, Günter Graf (Friesoythe), Dieter Grasedieck, Hans-Joachim Hacker, Manfred Hampel, Christel Hanewinckel, Alfred Hartenbach, Dr. Liesel Hartenstein, Dieter Heistermann, Reinhold Hemker, Rolf Hempelmann, Dr. Barbara Hendricks, Reinhold Hiller (Lübeck), Stephan Hilsberg, Frank Hofmann (Volkach), Eike Hovermann, Brunhilde Irber, Gabriele Iwersen, Jann-Peter Janssen, Sabine Kaspereit, Marianne Klappert, Nicolette Kressl, Eckart Kuhlwein, Konrad Kunick, Rolf Kutzmutz, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Klaus Lennartz, Erika Lotz, Dr. Christine Lucyga, Heide Mattischeck, Ulrike Mehl, Angelika Mertens, Adolf Ostertag, Albrecht Papenroth, Georg Pfannenstein, Karin Rehbock-Zureich, Reinhold Robbe, Otto Schily, Dieter Schloten, Dagmar Schmidt (Meschede), Regina Schmidt-Zadel, Heinz Schmitt (Berg), Walter Schöler, Gisela Schröter, Reinhard Schultz (Everswinkel), Dr. R. Werner Schuster, Dr. Angelica Schwall-Düren, Rolf Schwanitz, Lisa Seuster, Erika Simm, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Wieland Sorge, Wolfgang Spanier, Joachim Tappe, Jella Teuchner, Wolfgang Thierse, Franz Thönnes, Uta Titze-Stecher, Adelheid Tröscher, Ute Vogt (Pforzheim), Hans Wallow, Reinhard Weis (Stendal), Matthias Weisheit, Hildegard Wester, Dr. Norbert Wieczorek, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Hanna Wolf (München)

Begründung

Die Würde des Menschen ist unantastbar und deshalb unteilbar. Es ist folglich geboten, auch dem Sterbenden in Respekt für seine Würde zu begegnen. Kein Gut, auch nicht die mögliche Rettung eines anderen Menschen durch Organspende, darf diese Unteilbarkeit der Menschenwürde relativierend in Frage stellen.

Auf die unantastbare Würde des Menschen gründet sich soziales, fürsorgliches und medizinisches Handeln. Es gibt keinen hinreichenden Grund, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, welche die Integrität der Menschenwürde eines Sterbenden im Interesse Dritter in Frage stellt.

Die Entscheidung zur Organspende kann infolgedessen allein von einem zur Spende bereiten Menschen getroffen werden. Sie darüber hinaus von einem nahen Angehörigen zu verlangen, kann zu unzumutbaren Gewissenskonflikten führen.

Die Gewißheit, Organe von einem Menschen zu empfangen, die dieser persönlich und freiwillig gespendet hat, erleichtert es dem Empfänger, das fremde Organ als eine echte "Spende" anzunehmen. Dadurch wird es dem Spender und dem Empfänger möglich, einander jenen Respekt für die Würde und Autonomie des jeweils anderen zu erweisen, der das Menschliche ausmacht.

Die Transplantationsmedizin ist nur dann vor dem Ruch zu bewahren, hauptsächlich von Interessen der "Organgewinnung", ja des Geschäftlichen, bestimmt zu sein, wenn alle Menschen die Sicherheit haben dürfen, daß ihre Ohnmacht im Sterben nicht mißbraucht werden wird.

Eine bewußte, persönliche Einwilligung zur Organspende kann nur gegeben werden, wenn die damit verbundenen Bedingungen und Konsequenzen für Spender und Empfänger vorher abschätzbar gemacht wurden.

Die Entnahme von Organen eines Menschen, der ein irreversibles Hirnversagen erlitten hat und nur aufgrund seiner ausdrücklichen Verfügung bis zum Zeitpunkt der Explantation weiter am Leben erhalten wird, widerspricht nicht dem Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB). 1968 wurde das Kriterium des Hirn-"Todes" eingeführt, um den Abbruch der künstlichen Beatmung gegen den Vorwurf der Tötung zu rechtfertigen. Heute herrscht Einigkeit darüber, daß der Abbruch der künstlichen Beatmung, die keinem Therapieziel mehr dient, ethisch nicht anders zu bewerten ist als ihre primäre Unterlassung: Der Patient stirbt an seinen unheilbaren Schädigungen, nicht durch den Akt des Abschaltens.

Die persönliche Zustimmung zur Organspende bedeutet somit:

1. Der Patient wird einige Zeit länger leben, als er ohne Zustimmung gelebt hätte.

2. Die Organentnahme erfolgt unter normalen Operationsbedingungen.

3. Nach erfolgter Organentnahme unterbleiben sämtliche lebenserhaltenden Maßnahmen.

Die ethische Beurteilung einer Organentnahme steht somit in engem Zusammenhang mit dem Abstellen der künstlichen Beatmung nach eingetretenem unumkehrbaren Hirnversagen bei fehlendem Therapieziel.

Unsere politische Verantwortung gebietet es, den Vorgang der Transplantation menschlicher Organe, die ausführenden Mediziner und die Interessen der spendenden und empfangenden Menschen sowie aller weiteren mittelbar Betroffenen dem unteilbaren Prinzip von menschlicher Würde unterzuordnen.

14.03.1996

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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo