4. Rettungssymposium der Rettungsassistentenschule Hamburg-Rissen am 21.November 1998
Thema: Notfälle abseits der Routine
Studien zum Thema Streß im Rettungsdienst belegen eindrucksvoll, daß Rettungssanitäter stark unter Streß leiden. Ravenscraft verteilte (1994) an 1420 Londoner Rettungssanitätern Fragebögen. 52% der untersuchten Sanitäter gaben an, in hohem Maße Streß ausgesetzt zu sein. 15% dieser Rettungssanitäter litten an einem Posttraumatischen Belastungssyndrom oder PTBS, d.h. an einer Kombination mehrerer Streßsymptome. Die Streßsymptome waren jedoch weniger die Folge großer, aufsehenerregender Katastrophen, sondern hingen vielmehr mit schwierigen Routinenotrufen zusammen. Für die Mitarbeiter im Rettungsdienst wird davon ausgegangen, daß etwa 10% der Mitarbeiter von der Burnoutproblematik betroffen sind und weitere 20% als burnoutgefährdet gelten müssen.
Für das Rettungspersonal können allgemein, folgende Besonderheiten und streßauslösende Bedingungen benannt werden:
Mehrfachbelastungen ergeben sich aus der Kombination dieser allgemeinen Stressoren. In Fortbildungen mit RettungsassistentInnen machte ich die Erfahrung, daß RettungsassistentInnen zwischen diesen allgemeinen Stressoren unterschiedlich gewichten. So wurden mir die Kommunikations- und Interaktionsprobleme (z.B. Fehlende Anerkennung, fehlender Rückhalt durch Kollegen, Kompetenzkonflikte, schlechte Kooperation zwischen Mitarbeitern, aber auch mit anderen Berufsgruppen) , die Organisationsstruktur (Schichtdienst, Bereitschaftszeiten, Hierarchieprobleme, fehlendes Mitspracherecht) und die Ungünstige Arbeitsumgebung (minderwertige Ausstattung, unzureichende Räumlichkeiten und Verpflegungsmöglichkeiten, Einsatz auch bei ungünstigen Witterungsverhältnissen, Dunkelheit usw.) als häufigste Stressoren genannt. Andere Faktoren werden als Stressoren zum Teil nicht mehr wahrgenommen (z.B. die eigene Verletzungsgefahr beim Einsatz oder die hohen Anforderungen an die persönliche Verarbeitungskompetenz).
Fortbildungen, die dazu beitragen, individuelle Belastungsschwerpunkte und die rettungsdienstspezifischen psychosozialen und psychosomatischen Beanspruchungsfolgen besser erkennen zu können, finden kaum oder nur vereinzelt statt. Institutionell organisierte Nachbesprechungen (Debriefing) nach belastenden Einsätzen (z.B. Zugunglücke), unterbleiben nicht selten. Da oft nicht einmal monatliche Dienstbesprechungen auf den Rettungswachen stattfinden, geschweige denn Supervisionen angeboten werden, sind die Mitarbeiter gezwungen, allein oder mit Unterstützung der Familie, mit den Stressoren fertig zu werden.
Um mögliche Belastungen beim Personal zu verhindern oder zu verringern und gesundheitlichen Störungen vorzubeugen, ist eine psychologische Aus- und Weiterbildung im Rettungsdienst deshalb zwingend erforderlich. Solche Ausbildungsprogramme erfordern allerdings die Akzeptanz des Rettungsdienstpersonals sowie die Aufstockung der finanziellen Mittel für Aus- und Fortbildung im Rettungsdienst.