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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Tollwutinfektionen durch Organspende - Alles nur "ein schreckliches Unglück"?

Nichts sehen, Nichts hören, Nichts sagen bzw. die Verantwortung von sich weisen und auf die Erfolge der Transplantationsmedizin verweisen ist offenbar die Devise der Verantwortlichen! Aber ganz so einfach ist es nicht.

Roberto Rotondo(Hamburg), www.transplantation-information.de am 20.02.2005

Nach Aussagen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), sind "alle medizinisch möglichen Voruntersuchungen" bei der tollwutinfizierten Organspenderin vorgenommen worden, um die Organempfänger zu schützen. Es sei ein "bedauerlicher Ausnahmefall", so die DSO. Es sei "ein schreckliches Unglück", erklärt der Ärztliche Direktor der Uniklinik Mainz Prof. Dr. Manfred Thelen. Vielleicht sind die Transplantationsmediziner der Uniklinik Mainz, die DSO und der Gesetzgeber nicht ganz so einfach zu entlasten. Ein paar Fragen bleiben aus meiner Sicht offen.

Die Tagesthemen meldeten am 16.02.2005, dass sich zum ersten Mal in Deutschland Patienten bei einer Organtransplantation mit Tollwut angesteckt haben. In der Uniklinik Mainz wurden einer tollwutinfizierten 26-Jährigen Organe und Gewebe entnommen, die in Mainz und vier weiteren Zentren 6 Patienten transplantiert wurden. Nun soll bei drei der Patienten die tödliche Krankheit bereits ausgebrochen sein. Bei den anderen Patienten zeigen sich noch keine Symptome. Den betroffenen Patienten droht der Tod.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) wendete sich am 16.02.2005 in einer Pressemitteilung an die Medien und gab an, dass es "keine 100prozentige Sicherheit in der Transplantationsmedizin" gibt. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) bedauere den Vorfall und behauptet, dass "alle medizinisch möglichen Voruntersuchungen bei der Organspenderin vorgenommen worden" sind. Auch die Universität Mainz wiegelt in einer Pressemitteilung am 16.02.2005 ab. "Die Diagnostik auf eine mögliche Tollwuterkrankung im Vorfeld einer Transplantation ist unmöglich", so Professor Dr. Manfred Thelen.

Sind wirklich "alle medizinisch möglichen Voruntersuchungen bei der Organspenderin vorgenommen worden bzw. ist die Diagnostik einer Tollwuterkrankung wirklich "unmöglich"?

Natürlich nicht! Im vorliegenden Fall wurde keine Tollwutdiagnostik vorgenommen, obwohl sie natürlich eine medizinisch mögliche Voruntersuchung hätte sein können. Dafür, dass sie nicht vorgenommen wurde, gibt es verschiedene Gründe, die nicht allein in der Nachlässigkeit und Verantwortung der behandelnden Ärzte lag, sondern auch im Systemzwang der Transplantationsmedizin.

Die Bundesärztekammer (BÄK) schreibt, in den "Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes" für die Hirntoddiagnostik, die spezielle Testung auf Tollwut im Vorwege einer Organentnahme nicht vor. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb nicht auf Tollwut untersucht wurde.

Ein weiterer Grund weshalb die Testung auf Tollwuterreger bei der Organspenderin nicht vorgenommen wurde, liegt eventuell daran, dass in Deutschland das Auftreten von Tollwut sehr selten ist. Die letzten Todesfälle durch Tollwut sind in den Jahren 1996 und 2004 aufgetreten. Aber kann dies eine Ausrede dafür sein, dass nicht getestet wurde? Ich denke, nein!

In den USA sind 2004 drei Menschen nach einer Organtransplantation an Tollwut gestorben. Auch in diesen Fällen wurde die die Krankheit von der Organspenderin übertragen. Im Juli 2004 berichtete die Netzeitung darüber, dass die US-Gesundheitsbehörde prüfen lässt, ob Organspenden grundsätzlich auf den Tollwutvirus untersucht werden müssen. Spätestens nach diesen Ereignissen hätten Bundesärztekammer, DSO und Transplanteure in Deutschland reagieren müssen. Allerdings würde dies bedeuten, dass man alle Organspender einer Tollwutuntersuchung unterzieht. Eine finanzielle Ausgabe, die sich möglicherweise in Deutschland nicht gelohnt hätte, weil Tollwut so selten auftritt bzw. die Untersuchung so immens teuer ist?

Nach Auskunft des Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin kostet ein Test auf Tollwuterreger ca. 100 Euro. Im Jahre 2003 wurden in Deutschland 1140 Menschen Organe entnommen. In den letzten 5 Jahren wurden jährlich durchschnittlich 1061 "Hirntoten" Organe entnommen. Demnach wären Mehrkosten in der Transplantationsmedizin von jährlich 106 100 Euro angefallen, wenn alle Organspender vor der Organentnahme auf Tollwut getestet worden wären. Wenn man bedenkt, dass nach Angaben der Techniker Krankenkasse eine einzige Nierentransplantation zwischen 50000 und 65000 Euro kostet und die Nachsorge ca. 6000 bis 12500 Euro pro Jahr, dann kann die jährliche Kostenersparnis in der Transplantationsmedizin von ca. 106000 Euro doch kein Grund dafür sein, dass nicht auf Tollwut getestet wurde - oder?

Bleibt ein weiteres "Argument" der Transplantationsmediziner bzw. der verantwortlichen Klinik.

Laut Pressemitteilung der Universitätsklinik Mainz soll es "unmöglich" gewesen sein, eine "Tollwuterkrankung im Vorfeld einer Transplantation" vorzunehmen. Einen Hinweis darauf, weshalb die Testung in diesem Fall "unmöglich" gewesen ist, gab schon Professor Dr. Günter Kirste, Vorstand der DSO, im Tagesthemeninterview vom 16.02.2005.

"Wir können z.B. auch nicht feststellen, wenn jemand sich mit einer Hepatitis zwei Tage vor seinem Tod infiziert hat. Auch das ist nicht feststellbar", so Professor Kirste in der ARD. Zwei Tage vor einer Organentnahme sind also bestimmte Tests bzw. Ausschlussverfahren nicht mehr möglich. Allerdings hatten die Transplantationsmediziner in der Mainzer Universitätsklinik wahrscheinlich wesentlich weniger Zeit zwischen Hirntodfeststellung und der Organentnahme als zwei Tage. In der Allgemeinen Zeitung vom 17.02.2005 wurde Professor Peter Galle, Direktor der I. Medizinischen Klinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wie folgt zitiert: "Bei einer Transplantation läuft die Uhr".

Ist der Zeitdruck in der Transplantationsmedizin ein weiterer Faktor dafür, dass jetzt Organempfänger eventuell an Tollwut sterben müssen?

Laut Jahresbericht der DSO aus dem Jahr 2003 wurden in der "Region Mitte" (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland) 92% aller Organentnahmen innerhalb von 24 Stunden realisiert. 83% innerhalb von 18 Stunden, 53% innerhalb von 12 Stunden und immerhin 7,3% in einer Zeitspanne unter 7 Stunden! In diesen Zeiten ist die Zeit für Gespräche mit Angehörigen, die "selbstverständlich nicht limitiert sein darf", so die DSO, aber auch "die Verschiebung des OP-Beginns durch akute Notfälle oder Kapazitätsgründen in den Krankenhäusern" schon enthalten.

Die Transplanteure der Universität Mainz standen also unter einem sehr hohen Zeitdruck. Es ist allerdings durchaus möglich, dass "Hirntote" in ihrem Zustand länger als zwei Tage behandelbar sind.

" Frau Gabriele Siegel brach 1991 auf offener Straße zusammen und der "Hirntod" wurde bei ihr festgestellt. Sie war in der 16. Schwangerschaftswoche und brachte in der 29. Schwangerschaftswoche einen Sohn zur Welt. Sie blieb 87 Tage am "Leben", obwohl sie ja nach geltendem Recht die gesamte Zeit tot gewesen sein soll.

" Bei der 19jährigen Marion Ploch, wurde am 08.10.1992 der "Hirntod" festgestellt. Sie war in der 15. Schwangerschaftswoche und bekam 5 Wochen (!) später einen spontanen Abort.

Die Intensivtherapie kann nicht in jedem Fall von "Hirntod" so lange hinausgezögert werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie auf Dauer die Organe der Organspender schädigt. Allerdings wäre die Zeit für eine Testung auf Tollwut durchaus tragbar gewesen. Immerhin werden täglich Menschen intensivmedizinisch behandelt und natürlich werden bei ihnen nicht nur Organe geschädigt, sondern sogar Krankheiten ausgeheilt, was allerdings bei einem Hirntoten nicht mehr stattfindet. Das Gehirn erholt sich nicht. Tollwuttests sind zwar nicht so sicher wie HIV- oder Hepatitistests, allerdings sind sie technisch möglich, "auch in kurzer Zeit", so der Chefvirologe vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Herbert Schmitz, im Tagesspiegel vom 19.02.2005.

Der Zeitdruck kann also auch nicht als Ausrede für eigene Versäumnisse herhalten.

Aber vielleicht spielten andere Gründe eine Rolle, weshalb Kliniken schnell Explantieren müssen und wollen. Die Behandlung von Organspendern ist kostenintensiv und sie wird nur von Krankenkassen übernommen, wenn es zu einer Organspende kommt. Nur dann übernimmt die Krankenkasse des Organempfängers die Kosten. Dann würden auch die Kosten für eine Testung auf Tollwut übernommen. Aber "Hirntote" belasten Krankenhäuser und solche Patienten, die auf von diesen "hirntoten" Patienten belegten Krankenhausbetten angewiesen sind, wie das Ad Hoc Committee der Harvard Medical School 1968 in seiner Begründung für die Definition des "Hirntodes" konstatierte:

"The burden is great on patients who suffer permanent loss of intellect, on their families, on the hospitals, and on those in need of hospital beds already occupied by these comatose patient."

Man braucht Platz für die Lebenden, auch aus diesem Grund muss alles sehr schnell gehen.

Es gibt weitere Versäumnisse der behandelnden Mediziner.

Der Tagespiegel berichtet am 19.02.2005, dass die Staatsanwaltschaft Mainz "mögliche ärztliche Versäumnisse bei der Transplantation von Organen einer mit Tollwut infizierten Spenderin" prüft. Die tollwutinfizierte Patientin war "bereits in drei Krankenhäusern wegen Kopfschmerzen behandelt worden, bevor sie in die Uniklinik Mainz überwiesen wurde, wo sie starb. Sie habe außerdem Drogen wie Kokain genommen. Vermutlich wurde die Patientin nicht genauer zum Hintergrund ihrer Beschwerden befragt. Denn die behandelnden Ärzte wussten offenbar nicht, dass die junge Frau in Indien war und dort möglicherweise von einem Hund gebissen wurde."

Süd- bzw. Südostasien, insbesondere Indien sind Länder in denen es nach Informationen des Robert Koch-Instituts vom Oktober 2004 ein "besonders hohes Tollwutrisiko besteht." Aber auch Länder Südamerikas, Afrikas und auch Osteuropas haben erhöhte Infektionsrisiken. Kurz vor dieser Veröffentlichung sind die Übertragungsfälle von Tollwut durch Organspende in den USA auch in Europa bekannt geworden. Die Bundesärztekammer, DSO und andere verantwortliche Stellen hätten reagieren müssen und den Test auf Tollwuterreger in die Diagnostik des "Hirntodes" aufnehmen müssen.

Kein behandelnder Arzt ist auf die Idee gekommen die Patientin danach zu fragen, ob sie im letzten Jahr im Ausland war? Unglaublich angesichts der Tatsache, dass ein unklarer Kopfschmerz über längere Zeit vorlag. Ein einfacher standardisierter Fragebogen, in dem die Frage beispielsweise der Patientin oder vor der Organentnahme den Angehörigen gestellt wird, hätte eventuell ausgereicht, das Leben der jetzigen Organempfänger nicht zu gefährden.

Die tollwutinfizierte Frau soll im Dezember 2004 in einem Krankenhaus einen Herzstillstand und dann durch Sauerstoffmangel den "Hirntod" erlitten haben. Üblich ist es nicht, dass 26jährige Menschen einen Herzstillstand erleiden. Auch das hat niemanden nachdenklich gemacht? Ursachenforschung statt Organspende hätte die Devise sein müssen.

Die behandelnden Ärzte können nicht so einfach die Verantwortung von sich weisen.

Erstaunlicherweise behauptet nun die DSO am 16.02.2005 in ihrer Pressemitteilung, dass es "keine 100prozentige Sicherheit in der Transplantationsmedizin" gibt. Dem kann ich nur zustimmen, allerdings erstaunt mich die offene Aussage der DSO, weil sie mit genau der gegenteiligen Aussage für Organspenden wirbt. Hans-Peter Schlake und Paul Roosen beantworten in der Veröffentlichung, "Der Hirntod als der Tod des Menschen", die von der DSO herausgegeben wird, die Frage: "Wie sicher ist die Hirntoddiagnostik?", folgendermaßen. Nachdem sie behaupten, dass es "weltweit" zu keinem nachgewiesenen Fall einer fehlerhaften Hirntoddiagnose gekommen ist, ziehen sie die Schlussfolgerung:

"Die Diagnose "Hirntod" ist damit wahrscheinlich die sicherste in der ganzen Medizin überhaupt."

Diese Aussage zeigt die Überheblichkeit der Transplantationsmedizin und den Mangel an Zweifel. Der derzeitige Vorfall zeigt jedoch zusätzlich, dass diese Aussage sicher nicht für die Organempfänger zutrifft. Eine Übertragung seltener Infektionen durch Organspende ist aktuell nicht auszuschließen.

Auch der Gesetzgeber hat durch die Einführung der Meldepflicht von "Hirntoten" im Transplantationsgesetz (TPG) und dem entsprechenden Ausführungsgesetz zum TPG in Rheinland-Pfalz seinen Teil dazu beigetragen, dass es zu diesem "schrecklichen Unglück" kommen konnte. Die Meldepflicht von "Hirntoten" setzt Transplantationsmediziner unter den Druck, sofort an eine Organentnahme zu denken, damit sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Die Einführung von sogenannten Transplantationsbeauftragten in Rheinland-Pfalz, die u.a. für die Einhaltung der Meldepflicht sorgen, erhöht ebenfalls den Druck auf die Ärzte. Die DSO berichtet darüber, dass es in der "Region Mitte" 2003 bei 172 Patienten vor der Hirntoddiagnostik zum irreversiblen Kreislaufstillstand kam und fordert, "dass spezielle Aspekte der Intensivtherapie noch eingehender vermittelt werden müssen. Insbesondere die konsequente Fortführung der Intensivtherapie bei potentiellen Organspendern ist von besonderer Bedeutung."

Hier wird offen gefordert, Menschen nicht sterben zu lassen, um sie zur Organspende verwenden zu können. Dies zeigt nicht nur die Möglichkeit Organspender längere Zeit zu "therapieren", sondern, dass die DSO einen starken Druck in Richtung Organentnahme aufbaut, der jetzt wahrscheinlich mit dazu beiträgt, dass mehrere Organempfänger qualvoll sterben werden.

"Auf Grund der bisherigen Sachlage gibt es keine Hinweise auf ein Fehlverhalten der Klinik", sagte die Sprecherin Petra Giegerich im Tagesspiegel vom 19.02.2005.

Tollwutinfektionen durch Organspende - nur "ein schreckliches Unglück"?

© ROBERTO ROTONDO, 2005
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Artikel ist als Leserbrief erschienen in:

Spektrumdirekt - Die Wissenschaftszeitung im Internet mit dem Titel: Tollwutinfektionen durch Organspende
Mehr Informationen:

Tod durch tollwutinfizierte Organe - Deutsche Stiftung Organspende (DSO) widerspricht sich selbst und bestätigt Diagnosefehler der Mediziner
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update: 19.02.2005    by: Roberto Rotondo