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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Organverteilung - Willkür nicht ausgeschlossen

Wie Körperteile von »Hirntoten« verteilt werden

In ihren Werbebroschüren pro Transplantation behauptet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Ausschließlich medizinische Kriterien entscheiden darüber, wer ein Organ erhält und wer nicht. Stimmt das?

Die Entscheidungshilfe zum Thema Organspende, herausgegeben von der BZgA, läßt keinen Zweifel offen: Das neue Transplantationsgesetz (TPG) stelle »sicher, daß die knappen Spendeorgane möglichst gerecht – also nach medizinischen Kriterien – verteilt werden und daß die Organvermittlung mit größtmöglicher Transparenz geschieht.«

Das klingt beruhigend, ist aber eine Falschinformation: Tatsächlich hat das Gesetz am Alltag der Organverteilung bislang nichts geändert. Zwar hat § 16 TPG die Bundesärztekammer (BÄK) ermächtigt, quasi Funktionen von Ministerien wahrzunehmen und Kriterien für das Verteilen von Körperteilen »Hirntoter« zu erarbeiten.

Doch diese Aufgabe hat die BÄK bislang nicht erledigt. Folglich muß man anhand der bisherigen, jahrelangen Verfahrensweise überprüfen, wie Transplanteure und Vermittlungsstellen den Begriff »möglichst gerechte Verteilung« auslegen.

1996 hat der Sozialwissenschaftler Volker H. Schmidt Ergebnisse einer Untersuchung zur Empfängerauswahl in der Transplantationsmedizin veröffentlicht. Der Studie unter dem Buchtitel »Politik der Organverteilung« liegen 30 Interviews mit Vertretern der Transplantationsmedizin zugrunde. Sie belegen, daß die Kriterien der Organverteilung diffus sind und praktisch der Willkür von TransplantationsmedizinerInnen unterliegen.

Trotzdem erweckt die BZgA den Eindruck, als würden »Spenderorgane« ausschließlich nach medizinischen Kriterien durch Eurotransplant vergeben. Eurotransplant ist eine Stiftung, die 1967 im niederländischen Leiden eingerichtet wurde und den Organaustausch zwischen den Transplantationszentren in Belgien, Deutschland, Luxemburg, Niederlanden und Österreich organisieren soll.

Doch beileibe nicht jedes Transplantat wird von Leiden aus verteilt: Denn ein Organ eines als »hirntot« eingestuften Menschen muß nur dann an Eurotransplant abgegeben werden, wenn es eine »vollständige« Gewebeübereinstimmung zwischen den HLA-Antigenen des entnommenen Körperteils und dem potentiellen »Empfänger« gibt. Solche sogenannten »fullhouse«-Konstellationen, die zur Abgabe verpflichten, sind jedoch relativ selten – die offiziellen Eurotransplant-Zahlen lagen Anfang der neunziger Jahre bei unter 20 Prozent. Wenn kein »full house« vorliegt, können die Kliniken die entnommenen Körperteile behalten – und das tun sie auch reichlich: Schmidt hat ermittelt, daß 1993 deutsche Zentren 52 Prozent der in ihrem Einzugsgebiet explantierten Nieren behielten. Also stellt sich die Frage: Nach welchen Kriterien verteilen die Mediziner überhaupt die Körperteile?

Schon 1994 zählte Professor Walter Land vom Münchner Transplantationszentrum in der Zeitschrift Dialyse-Journal 49/1994 (S. 31- 40) mehrere Dilemmata bei der Organverteilung auf, vor allem die Selektion von PatientInnen auf der Warteliste und die Verteilung von Organen auf Menschen, die bereits auf der Liste stehen. Land schreibt, es gebe die Praxis, »von zwei Nieren immer eine zu behalten und die andere dem Eurotransplant-Pool anzubieten«. Jede zweite Niere ist demnach ein sogenanntes »Freitransplantat« und wird somit nicht vom vermeintlich objektiven Computersystem in Leiden nach medizinischen Kriterien verteilt.

Im Alltag kommen, »bewußt oder unbewußt «, andere Verteilungsfaktoren zur Geltung. Vier Prinzipien bestimmen laut Land inoffiziell die Verteilung:

  1. Das »fidelity-Prinzip«. Es besagt, daß der Transplantationschirurg aus »Wiedergutmachung « seinem Patienten rasch ein zweites Organ beschafft, wenn das erste Transplantat durch einen »technischen Fehler« verlorenging.
  2. Das »Queuing-Prinzip«. Hier wird zuerst mit einem Organ bedient, wer am längsten darauf wartet.
  3. Das Prinzip »Needs of the Programme«. Das bedeutet, daß solche PatientInnen bei der Organvergabe bevorzugt werden, die Kriterien für die Teilnahme an einem bestimmten wissenschaftlichen Transplantationsprogramm erfüllen.
  4. Das »Squeaky-wheel-Prinzip«, auch »Lobby-Prinzip«. Dies bedeute zum Beispiel, daß MedizinerInnen aus auswärtigen Dialysezentren über gute Kontakte zu Transplanteuren verfügten und diese dazu bewegten, daß ihre PatientInnen bevorzugt transplantiert würden.

Lands Beispiele zeigen, daß es im Eurotransplant-Bereich durchaus möglich ist, daß PatientInnen mit bestimmten Eigenschaften bevorzugt werden, obwohl sie nach streng medizinischen Kriterien eigentlich nicht zur Transplantation geeignet wären. So ist zu erklären, daß Menschen seit zehn oder mehr Jahren auf ein Organ warten, während andere in derselben oder kürzeren Zeit gleich mehrere Spendernieren verbrauchen.

Um nicht mißverstanden zu werden: Keineswegs möchte ich einer rein medizinischen Verteilung von Organen das Wort reden. Vielmehr soll der Beitrag verdeutlichen, daß die Vorgaben, die von der Organspende-Lobby propagiert und als »gerecht« angepriesen werden, in der Praxis überhaupt nicht eingehalten werden.

Quelle: BioSkop Nr. 4 • Dezember 1998, S. 8f.

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