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Erfahrungsberichte zur Organentnahme


Organentnahme: Erfahrungsbericht einer Pflegekraft

Eine Operation wie jede andere?

Pflegekraft: „Also, ich hab schon Tote gesehen, ja, ja,ja."

R. Rotondo: ".. bevor du im OP warst.?"

Pflegekraft: "Und darum ist eigentlich das einzige, was mir da dran so im Gedächtnis geblieben ist und wahrscheinlich bleibt, diese Blässe, diese absolute Blässe danach, die ich so nicht erwartet hatte. Weil, alle anderen Toten, die man so sieht sind auch vergleichsweise blaß, aber nicht so. ...

Das hat das für mich eigentlich nur unterschieden gegenüber sonst.

Und, ja, um noch mal jetzt auf dieses Erlebnis zurückzukommen, daß ist eben, daß man den Patienten, wenn der reinfährt, sehe ich ihn als Lebenden, rosig durchblutet eben, was allen Laien auch so geht. Der lebt doch noch verdammt! Ne, ist doch noch Mensch. Und eh, wenn der nach den vier Stunden, die der Eingriff ungefähr dauert, die Tücher abgenommen werden, ist er völlig weiß, entblutet sozusagen, das haben wir herausgespült. Und, das ist schon schwer beeindruckend, ne also, wenn die Tücher abgenommen werden und man hat irgendwie noch das Bild im Kopf von vor vier Stunden, wie der da ungefähr aussah.

Die sehen schon anders aus als der normale Mensch auf der Straße, weil sie irgendwie Kopfwunden haben, in der Regel und Ödeme und was weiß ich. Also sehen schon vom Gesicht her nicht unbedingt ansprechend aus. Aber, wenn das Ganze denn völlig entblutet ist, kalkweiß. N`sehr einprägendes Bild, was also auch immer noch da ist."

R. Rotondo: "Wenn du sagst, die kommen rein, wie immer so am Anfang. Kannst du das beschreiben, ab wann das für dich wahrnehmbar umschlägt?"

Pflegekraft: "..... hm, wahrnehmbar umschlägt?
Ja also, für mich ist das so das, das in dem Moment, wo ich den Tisch aufbaue, schon eine andere OP ist als sonst, weil ich eben, für mich eine Menge Arbeit eben dieses Dokumentieren oder dieses Sammeln der Zettel für die Tupfer und Tücher und so, das kann ich weglassen. Ist `ne Arbeitsersparnis, muß man so sagen, also das macht mir sonst immer viel Streß, diese Dinger da mitzählen und das muß ich nicht machen.

Egal was reingeht, egal was rauskommt, da muß ich mich nicht drum kümmern. Also von da her eh, ist es in dem Moment schon so, daß eh, es `ne andere OP ist. Und eben, während der ganzen OP eigentlich durch die Unzahl von Menschen, die in dem Raum sind, da gibt's ja noch diesen Bioigenieur, der diese Perfusion macht und ..ja, Organisatoren vom Transplantationsteam und so. Das ist immer voller Leute der Raum, was sonst eben nicht ist. Es ist, andere OP`s sind viel ruhiger, weil viel weniger Menschen drin sind. Ne, normalerweise sind sieben Leute im OP und bei solchen Eingriffen sind es schätze mal fünfzehn, mindestens."

R. Rotondo: "Also das heißt, es fängt dann schon beim Aufbau an, was ja dann bezogen auf die OP ist. Kannst du das beschreiben, wie das so mit dem Spender ist? .. Geht dir das da beim Spender genau so? Oder ist das jetzt nur bezogen auf die OP an sich und wie ihr das aufbaut?"

Pflegekraft: ".. Also, das ist ja immer diese klassische Frage, wieviel oder welche Rolle spielt der Mensch im OP. Wir arbeiten ja letztendlich nach der Diagnose. Es ist, die Nephrektomie, das ist der Magen und irgendwas. Der Mensch, der dahinter steht, ist ja für uns noch weniger relevant als auf Station. Weil, das für uns egal ist, ob der Patient dreissig ist oder siebzig, wir machen das gleiche. Ob der, .. das soziale Umfeld spielt sowieso kein Rolle. Also für uns gibt es ganz, ganz wenig Faktoren, die die Menschen unterschiedlich machen, weil auch... seine anderen Laborparameter sind für uns vom OP-Team egal. Das ist ein Anästhesie .. problem, ob der nun `ne gute Lungenfunktion hat, `ne schlechte, was Patienten irgendwie voneinander unterscheidet.

Bei uns unterscheidet sich höchstens Adipös oder nicht. Ob wir größere oder kleinere Haken nehmen oder so. Alles andere ist eigentlich nicht von .. von Relevanz für die, für das OP-Team, ob der alt ist, jung ist, männlich, weiblich ist. Solche Dinge, spielt keine Rolle. Ist für alle gleich."

R. Rotondo: "Empfindest du den Spender denn als tot, wenn der so reinkommt?"

Pflegekraft: "Als tot? .. Ja, denke .. so da hab ich mir jetzt noch, so in dem Sinne keine Gedanken drüber gemacht, ob ich jetzt eh.., an der Diagnosestellung irgendwas auszusetzen habe oder so, weil ich mir das auch bei allen anderen Dingen ..ehm, ja mir da keinen Kopf drum mache, ob das nu in Ordnung ist, daß wir diesen Tumor in diesem Zustand operieren, wo er überall Metastasen hat, laut Befunden oder so.

Dann mach ich mir doch jetzt keinen Kopf drüber, ob eh .. wir den Menschen nun wirklich an Lebensqualität etwas bieten, ob er nicht vielleicht eh, .. `n humaneres Sterben das menschlicher wäre, als wenn wir ihn jetzt so einer riesigen OP aussetzen oder so. Da mach ich mir ehrlich gesagt keinen Kopf drüber. Weil, ja ist nicht mein Ding, bin ich nicht für eingeteilt, ist nicht meine Aufgabe. Und wenn ich das auch noch alles reflektieren würde, was wir da an Forschungsmedizin im weitesten Sinne ja machen, Gott.

Ich hab wirklich irgendwie andere Sorgen, muß ich so sagen. Organisatorisch, ablauftechnisch und so, Personalmangel, was es alles gibt. Also, da mach ich mir nu keinen Kopf drüber, ob die Indikation stimmt."

R. Rotondo: "Und wie geh dir das so während der OP? Was bestimmt da deine, ja Gedanken oder Emotionen dabei, ..., bei der Organentnahme?"

Pflegekraft: "Also die Emotionen sind in erste Linie die Herausforderung, weil das eben mit dem gemischte Ärzteteam `ne vergleichsweise schwierige Sache ist. Und die Gedanken beziehen sich eigentlich da drauf, wieviel Organe bleiben hier und wieviel muß ich davon noch einbauen, weil .. ich gehör zum urologischen Team, daß heißt, wir transplantieren die Nieren. Das andere geht mich auch nichts an, ob die Leber nun in „Ort X“ bleibt oder nicht, ist mir egal.

Nur es passiert eben vergleichsweise häufig, daß Organspenden am Freitag sind, witzigerweise ist so, ne. Und das heißt dann, ich bin Samstag den ganzen Tag in der Klinik. Zweimal Nierenimplantation heißt zehn Stunden. Und das ist mein Dienst dann, den ich dann machen muß, weil ich Freitag ja bis Montag denn Rufbereitschaft habe und das bestimmt dann so eigentlich meine Gedanken. Was ich eigentlich sonst den Samstag über machen wollte und statt dessen mache ich jetzt acht Stunden Arbeit."

R. Rotondo: "Ah ja, machst du denn die Entnahmen auch vorweg? Denn was die Nieren angeht, machst du beides oder bist du hauptsächlich für die Implantation zuständig?"

Pflegekraft: "Also je nachdem, wie der Wochentag ist und welchen Dienst ich habe. Also, wir machen das Wochenende durch Dienst und wenn das so`ne Situation ist, wie jetzt eben, daß die Spende am Freitag ist, hab ich ja Freitag abend Dienst, also Spätdienst, und Rufbereitschaft bis Samstagmorgen, bis Sonntagmorgen, bis Montagmorgen, in einem Stück. Das ist dann mein Rufbereitschaftsdienst, das Wochenende eben. Und heißt, wenn wir Freitag so einen Patienten haben, als Spender, bleibt mindestens eine Niere hier meistens beide oder was auch immer. Und das heißt für mich, ich bin Samstag in der Klinik, ganz klar. Ne, und das bestimmt dann so meine Gedanken." *

* Quelle: Interviewaufnahmen, die Roberto Rotondo mit Pflegekräften für seine Diplomarbereit "Belastung und Bewältigung von Pflegekräften in der Transplantationsmedizin." im Studiengang Psychologie des Fachbereichs Psychologie der Universität Hamburg führte. Klassifikation: 428 Krisen, Konflikte, Reaktionen und 890 Spezielle Probleme der angewandten Psychologie. Hamburg, den 28. Juni 1996


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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo