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Erfahrungsberichte zur Organspende


Von Hans Langemann (Schwabmünchen)

Leberlebendspende: Wer muss welche Verantwortung tragen?

Erfahrungen vor und nach einer Leberlebendspende


Am 15. Oktober 2002 wurde im Klinikum der Universität München in Großhadern eine Leberlebendspende durchgeführt. Empfängerin des Organs war meine Frau Christl, Spenderin meine Tochter Andrea. Nach 85 Tagen Leidensweg auf einer Intensivstation verstarb meine Frau am 8. Januar 2003 an den Folgen der Transplantation. Meine Tochter erhielt über viele Wochen kein Krankengeld. Wir fragen uns: Tragen wir Schuld? War die Indikation für die Operationen treffend? Könnte meine Frau noch heute leben, hätten wir nein gesagt?

Am 21. Juni 2002 wurde meine Frau auf die Warteliste zur Lebertransplantation gesetzt, und schon drei Wochen später, am 12.Juli, sollte sie zu einer Lebendspende ja sagen. In ihrem Tagebuch schrieb sie: »Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Es trifft mich bis ins Herz, was ich meinen Kindern antue. Zu einer Ehe ja zu sagen ist leichter. Die Kraft heute aufzubringen ist so schwer, als müsste ich die Alpen tragen, die vor meinem Fenster liegen. Hätte ich es für meine Mutter auch getan? Ich weiß es nicht!« Aber Christl schrieb auch: »Ärzte machten mir Druck und Angst.« Am 3. August wurden meine Frau und meine Tochter durch die Lebendspendekommission bei der Bayerischen Landesärztekammer überprüft. Dieses Gespräch war für beide äußerst belastend. Ergebnis war eine gutachterliche Stellungnahme, mit der meine Tochter »in ihrer Entscheidung für die Lebendspende« als »nicht stabil« eingestuft wurde. Die Gutachter schlugen anschließend vor, meine Tochter solle zu einer Psychologin gehen, zu einer Beratung außerhalb des Klinikums, um ihre Entscheidung zu stabilisieren.

Auch meiner Frau wurde dies angeraten. Zudem meinte die Kommission, Christl habe noch Jahre Zeit. Denn die so genannte Auditgruppe aus unabhängigen Experten hatte meine Frau bei der Organvermittlungszentrale Eurotransplant auf die vierte Dringlichkeitsstufe T 4 gemeldet. Auch ging es ihr »gut«. In seiner Aufklärung gab der Arzt an, das Risiko für die Spenderin, nach der Organentnahme zu sterben, liege bei einem Prozent. Dazu stellte später die Lebendspendekommission fest: »Soweit im Aufklärungsprotokoll das Mortalitätsrisiko für den Spender mit 1 % angegeben ist, hat man die absolut unterste Grenze angegeben. Das Mortalitätsrisiko dürfte eher etwas höher anzunehmen sein.«

Meine Frau kam sich vor, wie vor einem Tribunal, wie ein »unreifes, zu unrecht bestraftes Kind«. Meine Tochter empfand das Gespräch mit der Kommission ebenfalls als sehr belastend. Wir als Familie glaubten, diese drei Herren wollten uns unserer gemeinsamen, glücklicheren Zukunft berauben, so stark war unser Vertrauen in die Worte der behandelnden Ärzte. Wir alle gingen jedoch in diesem Glauben fehl, meine Frau und meine Tochter merkten nicht das Bemühen der Kommission, sie über die risikoreiche Lebendspende zu informieren. Der schon auf den 12. August anberaumte Operationstermin wurde um zwei Monate, auf den 15. Oktober, verschoben. Um Weihnachten 2002, also rund zwei Monate nach den Operationen, bat ich einen Gutachter, mir die Stellungnahme der Kommission auszuhändigen. Dies sei ihm nicht möglich, sagte er und teilte mit, dass ihm von »einem OP-Termin nichts bekannt« sei.

Inzwischen liegt mir ein Schreiben eines Kommissionsmitglieds vor. Demzufolge sei das Gremium zu dem Schluss gekommen, »dass eine Transplantation unter den gegebenen Umständen nicht zu verantworten ist«. Begründung: »Zu dieser Entscheidung waren wir insbesondere deswegen gekommen, weil sich während des Gespräches herausstellte, dass Ihre Tochter keine stabile Spendenentscheidung zu erkennen gab und zugleich auch über die Risiken einer Lebendlebertransplantation offenkundig nicht hinreichend informiert war. In Hinblick auf den Schutz der Gesundheit Ihrer Tochter mussten wir als Kommission eine derartige Entscheidung treffen«.

Doch der behandelnde Arzt überging dieses Gutachten und machte die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Lebendspende zu dem, was sie faktisch sind: Ratschläge, die er achten oder missachten kann! Ob operiert wird oder nicht, liegt im Ermessen des Transplanteurs.

Laut Aussagen ihrer Ärzte hatte meine Frau nur noch wenig Zeit. Der Operationstermin sollte, so ein Mediziner, »das Licht am Ende des Tunnels« sein. Doch die Einstufung bei Eurotransplant war weniger dringlich, man attestierte meiner Frau ein chronisches Leberleiden ohne Komplikationen.

Die Lebendspendekommission sagte: Sie haben doch Zeit. Und sie fragte: Sind Sie informiert, aufgeklärt? Wie sollten es meine Frau und Tochter in diesem Augenblick wissen! Hatten sie doch erst wenige Tage vorher etwas über Lebendspende gehört. Wir alle waren gewaltig überfordert. Hatten Unmengen von Vertrauen zum Klinikum, das die Lebendspende angeregt hatte. Die Ärzte sprachen vom einzigem Weg, stellten alles äußerst positiv dar. Wir wussten nicht um Risiko und Chance. Heute, nach wochenlangem Sammeln von Informationen, beinahe Tag und Nacht, danke ich den drei Herren der Kommission besonders. Sie zeigten ein hohes Maß an moralischer Verantwortung!

Es kam zur Entscheidung und zur Transplantation. Es blieben nun 85 Tage Intensivstation - und wenige Tage mit der Möglichkeit zu Gesprächen mit meiner Frau. Über ihren Zustand haben wir wenig erfahren. Es hieß immer: »Haben Sie Geduld!« Schließlich bekam meine Frau eine Infektion, musste isoliert werden. Ein Stationsarzt bestätigte im Vorbeigehen den Sachverhalt. Und wieder keine erklärenden Worte ...

Am 8. Januar 2003 lag meine Frau im Sterben. Wo waren nun die Ärzte des Klinikum II, die meine Frau und Tochter zur Lebendspende intensiv bewegt haben? Wo waren die Feder führenden Chirurgen?

Haben wir uns, im falschen Vertrauen, an ein nicht sehr erfolgreiches Zentrum gewandt? Wäre meine Frau noch am Leben, wenn wir uns eine bessere Transplantationsklinik hätten aussuchen können? Wo hätte ich die Daten zum Vergleich finden können? War das Münchner Klinikum geblendet und hatte es nur den Wettbewerb der Zentren im Sinn? Warum veröffentlichen die Zentren ihre Ergebnisse nicht? Fordert dies nicht der Paragraph 10 des Transplantationsgesetzes, der Qualität sichern und Transparenz herstellen soll? Wie sollten meine Frau und meine Tochter aufgeklärt werden, ohne dieses Wissen? Wo blieb die Betreuung der nächsten Angehörigen? In den schweren Tagen waren wir uns selbst überlassen!

Es gab auch keine umfassende Aufklärung zu möglichen Spätfolgen. Wie sieht die Zukunft meiner Tochter aus? Muss sie mit gesundheitlichen Langzeitschäden rechnen? Darüber wurde im Klinikum nie gesprochen! Kein Wort über eine statistische Komplikationsrate von bis zu 25 Prozent, über ein Erkrankungsrisiko zwischen 10 und 40 Prozent. War es überhaupt ethisch vertretbar, bei dem Risiko für meine Tochter, diese Lebendspende zu akzeptieren? Viele Kliniken werden sich wohl künftig in der Leberlebendspende etablieren wollen. Aber wer will dann Patient sein, ohne die einschlägigen Daten zu kennen, die offenbar unter Verschluss gehalten werden?

Heute bin ich mir sicher, unser Weg war falsch! Der Gesetzgeber gibt der »postmortalen Spende«, also dem Verpflanzen von Organen »hirntoter« Menschen, den Vorrang vor der Lebendspende. In unserem Fall wurde darüber nie gesprochen. Meiner Frau wurde auch keine Leber eines »hirntoten« Menschen angeboten, wie uns Eurotransplant im Januar 2003 bestätigt hat.

Was tut man, will man seinen Nächsten behalten? Sie waren doch so verlockend, die Ausblicke, Gespräche, Labsal für die Seele. Für die Risiken sind ja Unterschriften da. Wer kann, wer will unabhängiges Korrektiv sein? Die Lebendspendekommission? Ihre Gutachten sind nicht mehr als Empfehlungen, ebenso wie die Papiere der Bundesärztekammer. Sie sind alle nicht rechtsverbindlich. Wer schützt den Spender? Wie ist der Empfänger aufzuklären? Fast alles obliegt der Verantwortung des Arztes, die Operationsergebnisse bleiben aber unter Verschluss! Ist dies nicht so, als nähme man eine Verantwortung auf sich, ohne sie dann aber zu tragen?

Im Nachhinein fühlen wir uns ausgenutzt, da wir über das volle Ausmaß der Risiken im Unklaren gelassen worden sind. Wir mussten erleben, dass sehr viel im freien Raum stattfindet. Vor der Operation wurde seitens des Klinikums die Lebendorganspende beinahe als himmlischer Weg zu einem neuen Leben beschrieben. Nun haben wir es wörtlich! Statt meine Frau zu einem neuen Leben zu führen, haben wir sie in den Tod begleiten müssen. Was bleibt? Sehr viel Schweigen und die Frage: Wer muss welche Verantwortung tragen?


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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo