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Veröffentlichung zur Organspende und Transplantation


Cross-over-Lebendspenden (Überreuzspende) doch zulässig?

Roberto Rotondo (Hamburg), Psychologe und Krankenpfleger


Urteil des Bundessozialgerichts (B 9 VS 1/01 R) öffnet den Weg für Cross-Over-Lebendspende (Überkreuzspende).

Am 3.7.1997 berichtete die Ärztezeitung über ein Interview mit dem damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und die Entscheidung der Abgeordneten des Bundestages zum das Transplantationsgesetz. Horst Seehofer antwortete auf die Frage der Ärztezeitung bezüglich der Zulässigkeit der Cross-over-Spende folgendermaßen:

"Seehofer: Nein. Das ist nach dem Gesetz nicht möglich. Wir haben über diese Frage lange diskutiert, uns aber dagegen entschieden, irgendeine Form der anonymen Lebendspende zuzulassen, weil die Situation für die Beurteilung von Motivation und Freiwilligkeit immer unübersichtlicher wird. Bei der Cross-over-Spende ist nicht von einer engen persönlichen Bindung zwischen Spendern und Empfängern auszugehen."

Ein Irrtum?

Am 10. Dezember 2003 hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts die Entscheidung des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG Nordrhein-Westfalen - L 10 VS 28/00) wieder aufgehoben. Das Bundessozialgericht hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen, weil es der Ansicht war, dass das LSG den Paragraphen 8 Abs. 1 Satz 2 des Transplantationsgesetzes zu "eng aufgefasst" hat. § 8 Abs. 1 Satz 2 legt fest, dass die Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können, nur zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen zulässig ist.

Die besondere persönliche Verbundenheit, so das Bundessozialgericht, sieht weder eine gemeinsame Lebensplanung zwischen Spender und Empfänger vor, noch muss die Verbundenheit für "jedermann" offenkundig sein. Die Richter des LSG waren anderer Ansicht:

"Im Verhältnis der Ehepaare wird eine Niere jeweils nur gespendet, weil als Gegenleistung eine andere Niere gegeben wird ("do ut des"). Die Ehefrau des Klägers hat die Frage des SG, ob sie sich vorstellen könne, ihre Niere zuerst der akutbedürftigen Frau B zu spenden, verneint. Bei einer Vorabspende ihrerseits könne man ja nicht wissen, ob Herr B dann einen Rückzieher mache. Demgemäss läge ein "Handeltreiben" im Sinn von Tauschhandel vor. Die Vorschriften über den Kauf (§ 433 ff BGB) wären entsprechend anzuwenden.

[...]

Die Freiwilligkeit der Spende muß aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Spender und Empfänger vermutet werden können. Offenkundigkeit schließt aus, dass die Feststellung, ob eine solche Verbundenheit vorliegt, erst nach entsprechenden Erkundigungen und Ermittlungen getroffen werden kann. Eine derart enge Beziehung wird im Falle einer Überkreuz-Lebendspende in der Regel nicht in Betracht kommen (vgl. Nickels BT-Drucks. 14/868 S. 22; a.A. Seidenath MedR 1998, 256).

ee) Im Zeitpunkt der Organentnahme standen sich weder Frau K und Frau B noch die Eheleute K zu den Eheleuten B in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe. Die Ehepaare haben sich erstmalig am 16.12.1998 im Kantons-Spital Basel anläßlich der Voruntersuchungen und Vorbesprechungen getroffen. Eine längere Unterhaltung war damals wegen des Gesundheitszustandes von Frau B nicht möglich. Den Eheleuten B ging es damals um die Einstellung des K und seiner Ehefrau zum Leben und zum Glauben. Im übrigen haben sie sich über die Dialyse und deren Probleme unterhalten. Der Senat wertet dies als "Kennenlernphase", die typischerweise an die erste Kontaktaufnahme jedenfalls dann anschließt, wenn die Beteiligten - wie hier - wissen, dass sie zeitweise aufeinander angewiesen sind. Die Qualität eines in besonderer persönliche Verbundenheit einander offenkundigen Nahestehens ist in diesem Stadium nicht erreicht."

(aus: Urteilsbegründung des LSG)

Die Richter der Vorinstanzen haben sich also die Mühe gemacht, das Näheverhältnis der Paare zu begutachten. Das Bundessozialgericht stellt jedoch fest, dass das Verhältnis nicht "jedermann" offenkundig sein muss, also auch nicht Richtern.

Laut Bundessozialgericht reicht es aus, dass im Vorfeld der Operation ein Psychologe oder Arzt eine "hinreichend intensive und gefestigte Beziehung eindeutig feststellen konnte". Ein Freibrief für die Transplantationszentren.

Dies widerspricht auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts.

"Insbesondere finden sich im Gesetzentwurf zum Transplantationsgesetz ausführliche Hinweise zur Auslegung des Begriffs der "besonderen persönlichen Verbundenheit" (vgl. BTDrucks 13/4355 S. 20 f. sowie BTDrucks 13/8017 S. 42 zu § 7 Abs. 1). Diese setzt danach sowohl innere als auch regelmäßig äußere Merkmale, wie eine gemeinsame Wohnung oder häufige Kontakte, voraus. Auch eine systematische und teleologische Auslegung legt es nahe, daß zwischen den Personen, die sich in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, ein Assoziationsgrad in äußerer und innerer Hinsicht bestehen muß, bei dem sich - wie etwa bei Verwandten - typischerweise die Vermutung aufstellen läßt, daß der Entschluß zur Organspende ohne äußeren Zwang und frei von finanziellen Erwägungen getroffen wurde."

Die Entscheidung des Bundessozialgericht öffnet nicht nur die Tür zur Überkreuzlebendspende, sondern auch die zum Organhandel.

Quelle: Bundessozialbericht - Presse-Mitteilung Nr. 60/03 zum Presse-Vorbericht Nr. 60/03

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