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Organspende: Kritik zur Organspende aus christlicher Sicht


Adelheid von Stösser

Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe

An die Herausgeber und Redaktion
der Zeitschrift "chrismon"
Postfach 203230
20222 Hamburg

den, 21.10.2002

Stellungnahme zum Beitrag in der Zeitschrift Chrismon (10/2002): "Gesucht: Herzen, Nieren, Lebern"

Sehr geehrte Damen und Herren.

Angesichts des einseitigen Plädoyers für die Organspende, in der aktuellen Ausgabe Ihrer Zeitschrift, fühle ich mich angesprochen Ihnen nochmals einpaar Zeilen zu schreiben.

"Als Organspender kann ich Menschen Hoffnung geben und noch im Tod Leben retten." (J.B.Kerner) Auf den ersten Blick klingt dieser Satz bewundernswert altruistisch, bei näherer Betrachtung erweist er sich jedoch als in sich widersprüchlich, insbesondere aus christlicher Sicht.

1. Leben retten

Nach christlichem Verständnis ist das Erdenleben weder unser eigentliches noch unser einziges bzw. entgültiges Leben, sondern eine begrenzte Daseinsphase. Allgemein beschreibt die christliche Lehre den Tod als Übergang zu neuem Leben. Eine ältere Ordensschwester im Krankenhaus, in dem ich vor vielen Jahren meine Ausbildung zur Krankenschwester machte, tröstete sterbenskranke Patienten gerne, in dem sie ihnen das Lied vorsang: "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Beschwerden, der ewigen Heimat zu." Ihre selbstverständliche Art wirkte auf die meisten sichtlich beruhigend. Ich habe keinen Patienten erlebt, der sich über diesen deutlichen Hinweis auf seine unmittelbar bevorstehende "Heimreise" aufgeregt hätte. Denn die meisten unheilbar Kranken spüren wie es um sie steht; selbst wenn sie dies nicht wahrhaben wollen und sich an die Medizin klammern. (Eine Medizin, die nichts unversucht lässt, ja sich sogar verpflichtet fühlt, den Todkranken so lange als medizinisch möglich hier zuhalten.) Auch in Trauergottesdiensten sprechen Geistliche regelmäßig Tröstungen aus, wie sie im oben erwähnten Liedtext anklingen. Hingegen vermittelt der 'Organspendenaufruf' in "chrismon" den Eindruck, als gäbe es nur dieses eine Leben, als bedeute der Tod das Aus menschlicher Existenz. Warum sonst fördert man eine Medizin, die den Körper als unsere Existenzgrundlage definiert? Wer diesen unkritischen, dem modernen Zeitgeist entsprechenden Artikel liest, erhält die gleiche Botschaft, die in unzähligen anderen Veröffentlichungen zur Problematik der Transplantationsmedizin propagiert wird. Geprägt von der materialistischen Weltsicht, erscheint selbst vielen Christen der Tod als ein so fürchterlicher, hoffnungsloser Zustand, dass jedes Mittel heilig erscheint, was diese letzte Reise hinauszuzögern verspricht.

Jesus demonstrierte hier eine grundsätzlich andere Haltung. Er hat nämlich nichts getan, um sein frühes Sterben zu verhindern. Vielmehr lebte er uns vor, dass wir keine Angst vor dem Tod haben brauchen, der eine Erlösung sei, zumindest für jene, die sich bemüht haben ein rechtschaffenes Leben zu führen. Er geriet nicht in Panik, wie es Kranken häufig passiert, wenn der Arzt ihnen z.B. sagt, dass sie an ihrer Krankheit sterben werden, sollte bis .... kein passendes Spenderorgan eintreffen. Er setzte seine Hoffnung nicht auf irdische Retter sondern auf den Vater im Himmel.

(Zur damaligen Zeit waren Hinrichtungen an der Tagesordnung und die meisten wären wohl bereit gewesen alles zu verleugnen und jedes Versprechen zu geben, um der Kreuzigung oder Steinigung zu entkommen. Andere sind fluchend oder schreiend von dieser Bühne abgetreten, voll Hass und Verzweiflung. Jesus dürfte gerade auch deshalb so große Aufmerksamkeit erregt haben, weil er sich in jeder Beziehung bis in den Tod völlig untypisch verhalten hat. Bis zum letzten Atemzug lebte er das, was er gepredigt hat. Er ließ sich weder blenden noch verunsichern, wie das bei seinen "Jüngern" bis heute häufig beobachtet werden kann; vor allem angesichts des Todes und der vagen Chance, mittels einer Organtransplantation vielleicht doch noch einige Monate oder Jahre 'überleben' zu können.

2. Nächstenliebe - Aufopferung

Damit kommen wir zu Punkt Zwei der gutgemeinten, jedoch schlecht durchdachten Aussage von J.B.Kerner, die man exemplarisch sehen kann. Auch wenn die Wortwahl bei den anderen bekennenden Organspendern etwas variiert, im Grunde drücken sie alle das gleiche aus, nämlich wenn ich sonst schon nichts mehr tun kann (ohnehin nicht mehr da bin und nichts mehr fühle, nicht mehr existiere), dann will ich wenigstens noch zwei-drei Leuten mit meinen Organen helfen können. Wir leben schon in einer verrückten Zeit. Da sterben tagtäglich Millionen von Kindern auf der Welt, nicht an den Folgen unheilbarer Organdefekte, sondern weil sie nichts zu essen haben. Elendig liegen sie in den Armen ihrer hilflosen Mütter, abgemagert bis auf die Knochen, mit dicken Bäuchen, ausgemergelten Gesichtern und Augen in denen sich unsägliches Leid spiegelt. Wer Leben retten will, muss nicht warten bis er tot ist, um dann etwas von sich herzugeben, von dem er ausgeht, dass er es ohnehin nicht mehr wird brauchen können. Mutter Teresa, gab uns ein Beispiel für Altruismus. Sie opferte den größten Teil ihres Erdenlebens für andere. Um das Leben eines todkranken "Wohlstandsbürgers" etwa durch eine Transplantation zu verlängern, werden mitunter Kosten aufgebracht, die ausreichten, um für Hunderte verhungernde Kinder gesunde Lebensgrundlagen schaffen zu können.

Wäre uns allen nicht mehr geholfen, würden wir die Begrenztheit unseres Daseins hier auf Erden zu akzeptieren lernen und würden wir uns auf diejenigen konzentrieren, die problemlos heilbar wären, anstatt auf jene, die selbst mit einem gespendeten Organ kein gesundes Leben führen können? Hippokrates riet den Ärzten, sich nicht an Sterbenden zu versuchen (versündigen): "Der Arzt soll nur die behandeln, die er heilen kann." Behandelt er solche, von denen er weiß, dass er sie nicht heilen wird können, verlängert er deren Leiden, das durch den Tod sein natürliches Ende findet.

"Kann ein Mensch mehr hingeben, als ein Teil von sich selbst - nämlich seine Organe?", appelliert die Kirche an das Gebot der Nächstenliebe. Wer aus Liebe zu einem Menschen, etwa eine seiner Nieren opfert, tut dies zumeist, weil er mit dem anderen mit-leidet (Mitleid); und, weil er den drohenden Verlust des geliebten Menschen mehr fürchtet als das vergleichsweise geringe Risiko, welches für ihn mit einer Nierenentnahme verbunden ist. Aus dem gleichen Grunde würden viele ohne zu zögern ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um z.B. ihr Kind vor dem Ertrinken zu retten. Die Motive sind die Gleichen, wobei die Angst vor dem Verlust eines geliebten Menschen wohl am stärksten wiegt. So ist es verständlich, dass Angehörige von Schwerkranken - wenn sie selbst nichts tun können - den Arzt anflehen, jeden Strohhalm zu ergreifen, der den Verlust vielleicht doch noch abwenden oder zumindest hinauszögern kann. Gerade wenn es junge Leute betrifft, fühlen sich Ärzte oft einem enormen Erwartungsdruck ausgesetzt. Da sie nicht tatenlos zusehen können, wie der Patient an seiner Krankheit stirbt, fangen sie an zu forschen und zu experimentieren. Während sich Ärzte, Kranke und Angehörige früherer Zeiten mit dem Unvermeidlichen besser abfinden konnten, da sie um die Grenzen der Heilkunst wussten, tut man sich heute schwer, Grenzen zu stecken.

3. haltlose - ausweglose Medizin

Tatsächlich hat die Medizin längst Grenzen überschritten, die in vieler Hinsicht ungesund sind. Man bedenke nur die Kosten die unaufhaltsam steigen werden, da die Ärzte weiterhin fieberhaft forschen und laufend neue Diagnose- oder Behandlungsmethoden entwickelt werden.

Beispiel: Als es noch keine Dialysegeräte gab, starben viele schwerkranke Patienten binnen weniger Tage an Nierenversagen. Während meiner Ausbildungszeit habe ich solche Situationen regelmäßig erlebt. Zwar kannte man das Dialyseverfahren bereits, aber es war noch zu aufwändig und zu teuer, um es in jedem Krankenhaus anzubieten. Lediglich größere Kliniken verfügten über dieses Therapieangebot, wobei die Erfolgsrate bei weitem nicht der heutigen entsprach, die Komplikationsrate war sehr hoch. Bis etwa Mitte der 70iger gab es eine Altersgrenze für Patienten denen eine Dialysetherapie genehmigt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, lag sie bei 40 Jahren. Ältere Patienten mussten weiterhin an ihrem Nierenversagen in wenigen Tagen sterben. Die jüngeren überlebten die komplikationsreiche Tortour zwar auch selten länger als 1-2 Jahre, aber dennoch waren sich alle einig, dass diese Altersgrenzen abgeschafft werden müssen. Fieberhaft wurde an der Verbesserung der Verfahrenstechnik gearbeitet. Heute gehört die Dialyse zum selbstverständlichen Therpiestandard jedes kleinen Krankenhauses. Daneben gibt es ungezählte private Dialysezentren, die notwendig wurden, weil die Zahl der dialysierten Patienten von Tag zu Tag stieg und weiterhin steigt. Denn da es diese lebensverlängernde Technik nun einmal gibt, tun sich Ärzte wie Angehörige schwer, sie nicht anzuwenden. Selbst bei Krankheitsbildern und in einem Alter, wo vor Jahren noch jeder Arzt von der Dialyse abgeraten hätte, hängt man die Patienten heute dreimal die Woche für mehrere Stunden an diese Geräte. Patienten mit Nierenversagen, die sich dagegen entscheidet, müssen bereit sein zu sterben; denn ihr Weiterleben ist von der regelmäßigen Blutreinigung über die künstliche Niere abhängig. Ältere Menschen halten diesen Stress selten lange durch. Einen glücklichen, lebensfrohen Dialysepatienten, der sich mit den Beschränkungen abfinden kann, wird man wohl lange suchen müssen. Also fühlten sich die Ärzte erneut unter Druck gesetzt, einen Ausweg aus der unerträgliche Situation zu finden, in die sie den Dialyseabhängigen gebracht haben. Nach jahrelangen Experimenten an Tieren, gelang einzelnen Forschern schließlich die Transplantation der Niere. Nachdem ungezählte Affen an diesen Versuchen qualvoll gestorben waren, überlebten schließlich die ersten, so dass das Verfahren nun am Menschen erprobt werden konnte. Freiwillige "Versuchskaninchen" ließen sich leicht finden unter den vielen Dialysepatienten, die bereits so mürbe waren, dass sie sich sagten: "Egal wie die Operation ausgeht, schlimmer kann es nicht werden." Mit der ersten erfolgreich verlaufenden Nierenverpflanzung, war zugleich der Grundstein einer neuen Ära in der Medizin gelegt. Das Zeitalter der Transplantationsmedizin begann, auch wenn die Euphorie durch die hohe Misserfolgsrate viele Dämpfer erhielt. Anfangs starben neun von zehn Patienten noch bevor die Operationswunden richtig verheilt waren - da sich der Organismus gegen das fremde Organ wehrt, was sich zumeist durch Schüttelfrost und Fieber ankündigte. Dann musste das Fremdorgan sofort wieder entfernt werden und der Patient, falls er diese Eingriffe überstand, war wieder dialysepflichtig. Parallel dazu stand nun ein weiteres, nicht minder großes Hindernis im Raum, nämlich die Beschaffung passender Organe. Ich erinnere mich noch genau an den Vortrag eines Oberarztes etwa 1978, der so gehalten war, dass viele der Zuhörer, vornehmlich junge Krankenschwestern und Studenten, einen Organspendeausweis unterschrieben. Ich selbst habe diesen Ausweis, ein grünes Pappkärtchen, etwa 5 Jahre lang bei mir getragen. Dann war er plötzlich verschwunden, und ich war ehrlich gesagt erleichtert. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich in meinem Berufsumfeld bereits vieles erlebt, was mir die Transplantationsmedizin verleidet hat. Inzwischen lehne ich diese grundsätzlich ab, nicht zuletzt aus der Überzeugung, dass die Menschen hierdurch fast unweigerlich in eine egozentrische Richtung gedrängt werden.

Versetzen Sie sich einmal in die Situation eines Kranken, dem der Arzt erklärt hat, er können nichts mehr für ihn tun, außer zu hoffen und zu beten, dass möglichst bald ein passender Organspender gefunden wird. Ich habe gläubige Christen erlebt, die für sich oder ihren geliebten Angehörigen - himmlischen Beistand erfleht haben - damit dieses Wunder geschieht. Ist das nicht absurd? Mit der Bibel und dem Gebetbuch auf dem Nachttisch, hofft man darauf, dass irgendwo anders ein Unfall passiert, bei dem ein gesunder Mensch umkommt, dessen Gewebedaten mit den eigenen übereinstimmen und dessen Angehörige dann auch noch als Spender gewonnen werden können. (Die meisten Unfallopfer sind junge Leute, für die Organspende bis dahin kein Thema war. Ältere Menschen sterben zumeist an irgendwelchen Krankheiten, Herzinfarkt, Krebs etc weshalb sie als Organspender, trotz Ausweis, nicht in Betracht kommen.) Die Wahrscheinlichkeit zu den wenigen Organsuchenden zu gehören, für die rechtzeitig das passende Organ gefunden wird, kommt fast schon einem Lottogewinn gleich.

Seit es grundsätzlich die Möglichkeit gibt, durch eine Organtransplantation eine zweite Chance bzw. eine Lebensverlängerung zu ermöglichen, traut sich kein Arzt, Kranke mit irreversiblen Organschäden in irgendeiner Weise auf das Sterben und den Tod vorzubereiten. Sterbevorbereitung und Begleitung erfahren nur Krebskranke und Aidspatienten. Im Umgang mit Dialysepatienten, Herzinsuffizienten und Leberzirrhotischen, ist dies kein Thema, nicht einmal für Krankenhausseelsorger. Wie der Teufel das Weihwasser meiden die meisten jeden Hinweis in diese Richtung. Untersuchungsbefunde, Medikamente etc., darüber tauscht man sich aus, die seelische Befindlichkeit wird höchstens insoweit angesprochen, als es darum geht, dem Kranken immer wieder Mut zu machen, durchzuhalten (bis das rettende Organ eintrifft). Ärzte und Schwestern fiebern nicht selten mit. Aufgrund der ständigen Beschäftigung mit medizinischen Gesundheitsdaten und körperlichen Reaktionen, geraten diese Patienten fast unweigerlich in einen Kreislauf der Selbstbezogenheit. Je länger sich die Krankheit hinzieht und je stärker sie den Kranken beeinträchtigt und bedroht, desto selbstbezogener sein Denken. Manche versuchen Gewissheiten zu erzwingen, andere lassen sich ohnmächtig treiben, fatalistisch in ihr Schicksal ergeben. Wieder andere reagieren unleidlich, überempfindlich oder verbittert, hier richtet sich das Aufgestaute nach Außen - Angehörige und Pflegekräfte sind davon besonders in Mitleidenschaft gezogen. Das Hingehaltenwerden (künstlich zurückgehalten, am Leben gehalten), das Auf und Ab zwischen Hoffnung und Rückschlag, bringt viele fast um den Verstand. Die Betreuung dieser Patienten stellt für die Pflegenden eine besondere Belastung dar. Einerseits sieht man ihre Not und versucht diese so gut als möglich zu lindern, andererseits stößt die selbstbezogene Leidenshaltung des Kranken jedoch auch ab. Abstumpfung gegenüber dem Leid welches man tagtäglich sieht, passiert nicht nur aus Selbstschutzgründen, auch die selbstbezogene "Unausstehlichkeit" vieler Kranken trägt dazu ihren Teil bei.

Insgesamt leiden unter der leidensverlängernden Medizin alle - außer vielleicht die Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Medizinbedarfindustrie, deren wirtschaftliches Wachstum nun einmal von der wachsenden Zahl chronisch Kranker abhängt.

4. tödliche Rettungsversuche

"Es würde mich glücklich machen, jemanden ein neues oder unbeschwertes Leben zu ermöglichen.", sagt die Tagesthemensprecherin Anne Will. So dachte auch ich als medizinbegeisterte junge Krankenschwester. Damals hätte ich ohne zu zögern, einem geliebten Angehörigen eine Niere geopfert. Nach allem was ich im Laufe der Jahre jedoch gesehen und erkannt habe, lehne ich die Transplantationsmedizin inzwischen grundsätzlich ab. Sie ist dem Seelenheil der Betroffenen sowie dem Gemeinwohl abträglich, es ist eine Medizin in die falsche Richtung. Zudem erweckt sie Hoffnungen auf ein neues, unbeschwertes Leben, die sich in den allerwenigsten Fällen erfüllen. In den Medien wird das Thema hauptsächlich aus der Sicht der Ärzte dargestellt, die in ihrer Verzweiflung - weil sie sonst nichts mehr für den Kranken zu tun wissen - alle Hoffnung in die Transplantationsmedizin setzen. Zumeist entsteht dem Laien der Eindruck, als könne jedes gespendete Organ ein Menschenleben retten. Die immer noch sehr hohe Sterblichkeitsrate während bzw. an den Folgen einer fehlgeschlagenen Transplantation, findet wohlweislich keine Erwähnung. Zwar wird der Patient aufgeklärt über dieses Operationsrisiko, aber oft in einer Weise, dass er keine andere Alternative sehen kann, als dieses Risiko einzugehen. Die meisten Patienten und Angehörige leben wochen-, monate-, mitunter jahrelang in der Hoffnung, durch das Eintreffen eines Spenderorgans endlich von ihrem Leiden erlöst zu werden, anderenfalls in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren sterben zu müssen. Wenn dann der langersehnte Anruf kommt, heißt es: ab in die Klinik. Jetzt muss alles so schnell gehen, dass dem Betreffenden keine Zeit bleibt, um diese Entscheidung nochmals zu überdenken. So er erging es im vergangenen Jahr einem Mann aus meinem früheren Heimatort. Wegen seiner schweren Herzkrankheit wurde dieser Mann frühberentet und zog mit seiner Frau von der Stadt in das kleine Eifeldorf. Seine Krankheit sah ihm niemand an, zumal er ein geselliger Mensch war, der sich am Dorfleben aktiv beteiligte und kein großes Aufhebens von seiner Krankheit machte. Er ging spazieren, fuhr Auto und schmiedete Pläne. Eines Morgens hieß es dann zur großen Verwunderung aller: "Der ..... ist tot!" So nach und nach erfuhren die Leute, von seiner lange Zeit noch unter Schock stehenden Frau, wie es dazu kam. Sie erzählte, wie ein Arzt aus der Klinik in Hamburg, bei der ihr Mann auf der Liste stand, am ..... angerufen und erklärt habe, es sei ein passendes Herz für ihn da, er solle am besten sofort ein Taxi bestellen und kommen. Hals über Kopf sind die beiden dann los. In der Klinik angekommen, sei er dann sofort von allen möglichen Ärzten und Schwestern umringt worden, die Blut abgenommen, Geräte angeschlossen, Fragen gestellt und was nicht alles sonst noch an ihm gemacht haben. Schließlich wurde er in den Op-Trakt gefahren und seitdem habe sie ihn nicht mehr gesehen. Sie habe gewartet und gewartet und die ganze Zeit ein komisches Gefühl gehabt. Als dann nach einer unendlich langen Zeit der Arzt gekommen sei, habe sie ihm schon ansehen können, dass etwas schief gegangen sein muss. "Leider gab es eine unvorsehbare Komplikation, bei Ihrem Mann. Wir konnten ihn nicht retten.", so in etwa die bedauernde Mitteilung des Operateurs.

So viel zur Kehrseite der angeblich lebensrettenden Medizin. Aber die Medizin lernt natürlich aus solchen Fällen. Lag die Sterblichkeitsrate vor 10 Jahren noch bei etwa 80%, überleben heute immerhin schon schätzungsweise vierzig von hundert Transplantierte diesen Eingriff länger als ein Jahr und zehn länger als fünf Jahre. Bei der Nierentransplantation sieht die Prognose mittlerweile zwar bereits günstiger aus, als bei Herz- und Lebertranplantationen, aber bei weitem nicht so, dass man sagen könnte jeder wäre anschließend geheilt. Von diesen Zahlen und diesem Risiko liest und hört die Öffentlichkeit nahezu nichts. Hier werden immer nur die vielleicht fünf Prozent der Fälle herangeführt, denen es nach diesem Eingriff deutlich besser geht. Dennoch leben auch diese in der ständigen Angst, das Organ könne wieder abgestoßen werden. Zeitlebens sind sie auf Medikamente angewiesen, die dies verhindern sollen und die ihrerseits so viele Nebenwirkungen haben, dass es weiterer Medikamente bedarf, um die Nebenwirkungen im Griff zu behalten. Als wirklich geheilt kann sich kein Transplantierter bezeichnen. Solche Eingriffe hinlassen Narben und Veränderungen, die früher oder später zu Folgekrankheiten führen. In keinem Falle konnte der Tod hierdurch verhindert werden, bestenfalls gelingt es ihn um einige Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte hinauszögern. Im oben geschilderten Falle hat der Eingriff den Menschen umgebracht. Todesursache: Operation! Hätte dieser Mann eine andere Entscheidung getroffen, würde er heute vermutlich noch genauso lebendig im Ort herumlaufen wie zuvor. Wäre die Transplantationsmedizin nie entwickelt worden, würde der größte Teil der bis heute bereits Transplantierten ein weniger abruptes oder qualvolles Ende genommen haben. Jemand der dieses Thema behandelt, sollte sich vorher einmal in den Kliniken anschauen, wie das in aller Regel abläuft - sowohl bei den Transplantierten als auch bei den Spendern. Ich hatte viele Jahre Einblick in drei große Universitätskliniken (Tübingen, Ulm und Heidelberg) und dort mit vielen SchwesternPflegern gesprochen. Wer es nicht mitgemacht hat, kann sich wohl kaum vorstellen was es bedeutet, junge hirntote Menschen zu pflegen, wissend das diese -wohldurchblutet, friedlich schlafend wirkenden Menschen - vom OP sofort in ein Kühlfach in der Pathologie geschafft werden (was in der Regel auch die Aufgabe des Pflegepersonals ist). Diese Mutter möchte ich sehen, die so über den Dingen steht, wie es Conny Copitzky, im Beitrag von Christine Holch, angeblich konnte. Normalerweise spielen sich ganz andere Gefühls-Dramen im Vorfeld und auch nachher ab. Die Autorin hätte wohl nie einen solch einseitigen Pro-Organspende-Artikel verfasst, hätte sie auch nur ein einziges Mal selbst am Bett eines tödlich verunfallten Organspenders oder eines mit schwersten Abwehrreaktionen kämpfenden Organempfängers gestanden und das Auf- und Ab von Hoffnung, Verzweiflung, Angst und Not hautnah miterlebt.

Befragen Sie doch einmal Ärzte und erfahrenen Pflegekräfte, wer von diesen einen Spendenausweis hat. Eigentlich müssten die Operateure hier mit gutem Beispiel vorangehen. Im Übrigen liegt es in der Natur der Sache, dass sich zum Transplantationsspezialisten vornehmlich solche Mediziner entwickeln, denen es besser als anderen gelingt, Gefühle zu verdrängen, die bei derart schwierigen Operationen stören. Stirbt ihr Patient, betrauern diese vor allem ihren eigenen Misserfolg. "Jedem Chirurgen bleiben Leute auf dem Tisch liegen. Auch Sauerbruch hat mit seinen Eingriffen mehr Kranke ins Jenseits befördert, als kuriert. Aber hätte er oder die vielen anderen Chirurgen nicht beharrlich weitergemacht, wäre die Chirurgie heute nicht das, was sie ist.", so die häufig gehörten Reaktionen hierauf. Tötung in Ausübung der Medizin, darüber verliert kaum einer ein Wort. Hingegen steigen viele Christen auf die Barrikaden, wenn es um Fragen der Sterbehilfe geht, wie sie kürzlich in Holland geregelt wurden. Man verspricht den Leidenden eine bessere Schmerztherapie, persönliche Begleitung und will für sie beten, damit sie ihren, durch die Medizin verursachten Leidensweg, so lange durchhalten, wie die Medizin Möglichkeiten sieht, den Körper am Leben zu halten.

Statt einer immer aggressiveren und risikoreicheren Medizin das Wort zu reden, plädiere ich für eine Medizin im Sinne Hippokrates: "Der Arzt sollte heilen und wo dies nicht möglich, wenigstens nicht schaden." Auch Jesus dürfte mit diesem Leitsatz eher einverstanden sein, als mit dem heute praktizierten Motto: "Der Arzt sollte keine noch so kleine Chance ungenutzt lassen, die das Erdenleben des Kranken verlängern könnte." Hinter dieser Haltung steckt wiederum unser materialistischer Zeitgeist, wonach jede Stunde Leben immer noch besser zu sein scheint, als der ewige Tod. Selbst gläubige Christen sind dieser Angst verfallen, denn auch unter diesen findet man viele, die alles medizinisch mögliche einfordern und sich an ihr bisschen Leben klammern, als wäre es alles was sie haben. Die Urknallgeschichte und die Evolutionstheorie, in der Gott und Himmel und Weiterleben nach dem Tod nicht vorkommen, zeigt spätestens auf dem Kranken- bzw. Sterbebett sichtbare Wirkung. Auf dem Sterbebett kann man die wirklich Gläubigen von den nur katholischen oder evangelischen zweifelsfrei unterscheiden. Denn hier heißt es Farbe bekennen. Ich für meinen Teil habe genug von all dem gesehen, um statt eines Organspendeausweises, eine Patientenverfügung zu verfassen, in der ich jede nicht heilende, nur leidensverlängernde medizinische Maßnahme ablehne. Sterben müssen wir früher oder später alle. Keine Religion hat je den Menschen geraten, sich an seine materiellen Besitztümer und seine sterbliche Hülle zu klammern. Alle Religions- und Weisheitslehrer definieren das Sterben als einen Lösungsprozess der Seele von der Materie, einen Übergang in einen anderen, einen geistigen Daseinszustand. Wie kein anderer hat Jesus demonstriert, dass wir keine Angst haben brauchen, dass wir nicht betteln und um Verlängerung unserer Erdenzeit kämpfen sollten, weil es nirgendwo schöner sein kann, als im Himmel.

Alles das wird zwar jeden Tag X-Mal gepredigt, aber wenn es ums Sterben geht, zeigen sich die frömmsten Christen nicht selten genauso erdverhaftet, wie jeder Ungläubige auch.

Sicher erinnern Sie sich noch an meine Stellungnahme zum Thema Werbung für den Glauben, wo es schwerpunktmäßig um die Frage der Überzeugungskraft der Kirche ging. Mit dem Artikel "Gesucht: Herzen, Nieren, Lebern", mit Johannes B. Kerner als Werbeträger auf der Titelseite, liefern Sie m.E. ein treffliches Beispiel dafür, wie sich selbst "Geistliche" vor weltliche Karren spannen lassen ohne dies überhaupt zu merken. Die Kirche brauchte keine Werbeplakate für den Glauben, wenn ihre Vertreter glaubwürdiger zu dem stehen würden, den sie als Erlöser und Vorbild propagieren. Stattdessen redet man einer Medizin das Wort, die den Tod zum ärgsten Feind erklärt hat, den es mit allen Mitteln zu besiegen gilt. Anstatt eine klare, unzweideutige Position in diesen Fragen zu beziehen, werden theologische Eiertänze aufgeführt. Wie kann denn das ganze Gerede vom Reich Gottes Zweifelnde überzeugen, wenn sich die Vertreter der Kirchen auf die Seite derer schlagen, die sich nichts besseres vorstellen können, als dieses armselige bisschen Leben hier auf Erden? "Wenn das alles sein soll, wofür wir leben, dann lohnte es nicht abends die Strümpfe aus und morgens wieder anzuziehen.", soll Bismarck einem Gelehrten geantwortet haben, der ihm weiszumachen versuchte, dass das Leben nur dem Zweck diene, gelebt zu werden. Liest man ihren Beitrag zur Organspende, könnte man den Eindruck gewinnen, als hätte auch für Sie das Leben nur diesen Selbstzweck. Mit keinem Wort wird auf die geistige Heimat hingewiesen, die den Menschen nach dem Tod erwartet. In diese Richtung wird kein einziger Funke Hoffnung vermittelt.

Anstatt Auswege aus der Misere der Mangelware freiwilliger Organspenden zu suchen, sollten doch wohl besser Auswege aus der Transplantationsmedizin aufgezeigt werden. Wie kann ich als Christ oder wir als Kirche den Menschen Mut machen, auf diese problematische Methode kurzzeitiger Lebensverlängerung zu verzichten und die ihm noch verbleibende Zeit zur Vorbereitung auf seine "Heimreise" zu nutzen. Wer bis zuletzt in der Hoffnung auf ein neues Leben durch die Organspende lebt, stirbt in der Regel völlig unvorbereitet. Solange diese rein irdische Hoffnung genährt wird, ist für himmlische kein Platz.

Adelheid von Stösser

Internet: www.stoesser-standard.de

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