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Stellungnahmen zum Transplantationsgesetz bzw. zu den Entwürfen zum Transplantationsgesetz


Stellungnahme von Roberto Rotondo für das Gen-Archiv Essen (1995)


Deutscher Bundestag. Ausschuß für Gesundheit. Ausschußdrucksache 13/161. Bonn, 04. August 1995

Stellungnahme zur Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages am 28.06.95

Bewertung des Hirntodes sowie der engen und der erweiterten Zustimmungslösung in einem Transplantationsgesetz

Gibt es einen Unterschied zwischen einer Leiche und einem hirntoten Menschen?

Den Kriterien der Bundesärztekammer und der Meinung vieler Ärzte zufolge gibt es ihn nicht. Viele Versuche wurden unternommen, um dem Bürger den Zustand des Hirntodes nahezubringen und auch Schulungsprogramme (EDHEP) sollen Ärzte und Pflegekräfte dazu befähigen, den Hirntod als den Tod des Menschen zu akzeptieren, um danach Angehörigen diesen Tod nahebringen zu können.

Was bis vor nicht allzu langer Zeit, im wahrsten Sinn des Wortes anschaulich war, der Tod ange­sichts einer Leiche, ist durch Mediziner unanschaulich gemacht worden, indem sie den Hirntod zum Tod des Menschen erklärten. Ganz anders ist dies beim „normalen” Tod. Ein Zimmer zu betreten, in dem sich eine Leiche befindet, ist für jeden, der dies noch nie erlebte, eine besondere Erfahrung. Auch die ständige Konfrontation mit Leichen läßt dies Gespür nicht verschwinden. Die Atmosphäre im Raum, das Aussehen des Menschen, die Blässe und das völlige Fehlen von Lebensäuße­rungen, Glanz- und Leblosigkeit der Augen und Erstarrung des Körpers machen den Tod sinnlich erfahrbar. Vor allem aber, ist Ruhe eingetreten.

Vielleicht hat dieser Mensch noch kurz vorher um sein Leben gekämpft. Aber wenn der Tod, wie wir ihn bisher kannten, eintritt, dann ist der Kampf vorbei, auch der der Mediziner und Pflegekräfte.

Auch im OP während einer Organentnahme wird gekämpft, aber nicht mehr um den Menschen, der angeschnallt und relaxiert, hirntot auf dem OP-Tisch liegt. Dort kämpft man gegen die Zeit, aber nicht mehr für den Menschen, der noch zu leben scheint. Um ihn geht es nicht mehr. Aber auch in dieser Situation schlägt die Stimmung um, wenn nach erfolgter Organentnahme die Abdecktücher entfernt werden und nun eine Leiche sichtbar wird. Nun erst tritt Ruhe ein und es wird deutlich, daß dieser Mensch zu Beginn der OP noch so lebendig wirkte und aussah wie jeder andere Patient, der in den OP kommt.

Das „Unanschauliche” aber, der Hirntod, ist für die meisten von uns schwer nachzuvollziehen. 97%1 des Körpers eines hirntoten Menschen leben, und nur das Gehirn scheint völlig abgestorben zu sein. Das Herz eines Hirntoten schlägt, Bewegungen sind möglich, er kann schwitzen, urinieren und ein­koten. Hirntote Frauen können schwanger sein und Kinder austragen, hirntote Männer sind potentiell zeugungsfähig und können „perfekte Erektionen”2 haben.

Die Pflege eines hirntoten Menschen wird Spenderkonditionierung3 genannt, eine Pflege, die auf Organerhalt ausgerichtet ist. Sie ist manchmal aufwendiger als die Pflege von bewußtlosen, schwer­kranken Patienten, die jedoch oft genug vernachlässigt werden müssen, wenn eine Pflegekraft „ne­benbei” einen hirntoten Menschen pflegt.

Im Gegensatz zu „richtigen“ Leichen, müssen „Hirntote“ gewaschen wer­den, auch Hautpflege, Zahnpflege, sowie Lagerung und ständige Kontrollen der Kreislaufsta­bilität und der Beatmungspa­rameter sind notwendig. Zum Entsetzen mancher Pflegekräfte kann es vorkommen, daß eine solche, nur „scheinbar“ lebende Leiche eine Pflegekraft „re­flexartig“4 mit den Armen umschlingt oder an­fängt, im Bett „laufähnliche Bewegungen“ (Lazarus-Zeichen)5 zu vollziehen.

Aber laut Hirntoddefinition sollen diese Menschen tot sein, ganz tot und nicht nur halb­tot. Sie sollen Leichen sein und Pflegekräfte und Ärzte, die nicht in der Lage sind, das „Unanschauliche“, den Hirntod, zu verstehen, sind nicht auf der Höhe der Zeit.

„Sichere Todeszeichen”6 treten erst nach dem Herz-/Kreislaufstillstand auf. Im OP ist dies erst während der Organentnahme der Fall, nachdem schon ein oder mehrere Organe entnommen worden sind. Noch beim Einschnitt in den Körper eines hirntoten Menschen kann es zu Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg kommen, der bei einer Leiche wohl kaum festzustellen wäre.7 Erst wenn das Herz mit Perfusionslösung durchspült, ein Herzstillstand also provoziert wird, tritt der uns bekannte Tod ein und die Anästhesie kann abtreten.8

Die Würde eines hirntoten Menschen soll vor, während und nach erfolgter Organentnahme gewahrt bleiben und der Leichnam achtungsvoll behandelt werden. Dies ist nicht nur ein Anspruch von Transplantationschirurgen (Transplantationskodex)9, sondern auch vom Pflegepersonal10. Das klingt gut und es beruhigt möglicherweise auch, aber ist dies auch möglich?

Vor der Organentnahme ist dieser Anspruch vielleicht noch zu erfüllen. Intensivpflege­kräfte behan­deln Hirntote oft wie lebende Patienten, mit dem selben Respekt, mit der gleichen Sorgfalt. Wenn die Therapie abgesetzt wird und der hirntote Patient stirbt, wird er so behandelt, wie jeder andere, der dort stirbt. Aber im OP?

Bei einer Organexplantation gibt es einen entscheidenden Unterschied im Vergleich zu einer „nor­malen” OP. Es ist üblich, daß am Beginn einer OP bereits feststeht, daß eine Leiche zurückbleiben wird. Für manche Pflegekräfte vollzieht sich hier etwas Einmaliges, nicht Vergleichbares mit anderen Operationen. Für sie ist dies nicht mehr mit den Begriffen Würde, Achtung und Respekt in Einklang zu bringen.

„Die Art der Verletzungen, die ein Skalpell zufügt, wenn es tief in vitales Gewebe (le­bendiges Fleisch) einschneidet - auch wenn diese Vitalität <<nur>> als Minimum in den Grundbewe­gungen des Lebens künstlich aufrechterhalten wird -, können Ärzte, Sozialethiker, Moraltheo­logen und Juristen nicht so einfach verharmlosen und wegra­tionalisieren.

Es ist nicht das Ich des Verletzen, nicht die Sprache der Kehle, des Mundes der Zunge, die das Ausmaß des Zugefügten bekundet. Es ist das Bild, die Aussagekraft des Körpers an sich, die das Erleiden doku­mentiert und in mir das Phänomen inferna­lischen Schmerzes und marker­schütternder Schmerzens­schreie hervorruft.“11

"Nun liegt er da, mit einer riesigen Wundhöhle, und bietet uns seine Bauchorgane dar. Nie würden sie einen Lebenden so verletzen! Das ist es: diese riesige Wunde, diese unermeßlich große Verletzung, die dies so schrecklich sein läßt."
12

Es gibt Pflegekräfte, die während der Organentnahme Tränen unterdrücken müssen,13 die nach er­folgter Organentnahme „nurmehr in die Arme genommen werden“14 wollen, ein schlechtes Gewis­sen haben15 und das Gefühl haben, zu verletzen.16 Man­che stellen sich die Frage, ob „es ethisch richtig ist, derart manipulierend in den Sterbeprozeß einzu­greifen“17 und fragen sich, „wo ... das Recht dieser Toten auf ein würdevolles Sterben (bleibt)“.18 Auch nach beendeter Organentnahme scheint es manchmal unmöglich, das Erlebte zu vergessen.

"Wer glaubt, nun sei es vorbei, der irrt. Ich werde nach Hause gehen, mich schlafen le­gen, und dann werde ich im Traum noch einmal das Ganze erleben. Ich werde diesen Toten sehen, der erst sein eigenes, dann das Gesicht eines mir nahestehenden Men­schen und schließlich mein Gesicht tragen wird. Alles verdrängte, Verschluckte, ein Hexenkessel voller Gefühle wird auf­brechen. Sie wer­den ihr grausames Spiel mit mir treiben - ungehindert, ungebremst, sich austo­ben bis zum Exzess. Erst danach wird diese Entnahme für mich vorbei sein."19

Möglicherweise gibt es Pflegekräfte, denen es nicht so geht, aber etliche verlassen den Arbeitsplatz auf der Intensivstation oder in dem OP schon nach wenigen Jahren. Man kann nur hoffen, daß diese Gefühle nicht den Regelfall darstellen, aber ausschließen können wir dies nicht.

Zu einer weiteren Verunsicherung trägt bei, daß es offenbar möglich ist, die Hirntoddiagnostik zu vereinfachen.20 Dies ist z.T. - bei Einbeziehung aller Krankenhäuser in das Organspendemeldesystem – sogar notwendig, weil nicht alle Häuser bzw. Stationen über das erforderliche diagnostische In­strumentarium verfügen. Ist nicht zu befürchten, daß eine Vereinfachung der Diagnostik eine Quali­tätsminderung bedeutet? Die apparative Hirntoddiagnostik – und dies ist nach heutigem Wissens­stand ohnehin nicht mehr als das Messen der Tätigkeit des Großhirns nach Maßgabe der Meßin­strumente und -technik – sollte nicht einfach veränderbar sein, nur weil das Organspendepotential zurückgegangen ist. Abgesehen davon wird auch von Neurologen bezweifelt, daß es möglich ist, mit Apparaten den „Ganzhirntod” zu diagnostizieren, so daß die Organtransplantationen eingestellt werden müßten, wenn im Transplantationsgesetz der „Ganzhirntod” festgeschrieben wird.21 Die Schlußfolgerung, einen „Teilhirntod” zu akzeptieren, kann ich im Wissen um die Pflege von Appal­likern oder Locked-In-Patienten, nur als bizarr und menschenverachtend empfinden.

Weiterin trägt zur Verunsicherung bei, daß „Internisten oder Chirurgen über den ‘potentiellen Or­ganspender’ bezeihungsweise über anstehende Konsilliardienste informiert werden, noch bevor der Hirntod endgültig diagnostiziert ist.”22 Dies bedeutet, daß die in die Transplantation involvierten Mediziner bereits vor Feststellung des sogenannten Hirntodes Kenntnis von einem eventuellen Spender von seinen behandelnden Ärzten erhalten. Abgesehen davon, daß derartige Kontakte unter­sagt sind, stellt sich die Frage, ob hier nicht ein Patient bereits aufgegeben wird, bevor er selbst auf­gegeben hat.

Was bleibt?

Egal welches Transplantationsgesetz verabschiedet wird, die Pflege von Hirntoten sowie die Mitar­beit bei Organentnahmen werden weiterhin stattfinden.

Die „Spenderkonditionie­rung“ läßt sich jedoch nicht mit den grundlegenden Aufgaben der Kranken­pflege in Einklang bringen: 1. Gesundheit zu fördern, 2. Krankheit zu verhindern, 3. Gesundheit wieder herzustellen und 4. Leiden zu lindern. Auch der Anspruch auf „Ganzheitlichspflege” liegt im krassen Widerspruch zur Hirntoddefinition und den daraus resultierenden Organentnahmen. Daher muß es möglich sein, daß Pflegekräfte aus psychischen, ethischen, lebensanschaulichen oder theolo­gischen Gründen heraus die Mitarbeit bei der Spenderkonditionierung und den Organentnahmen verweigern können, ohne mit arbeitsrechtlichen oder diziplinarischen Auswirkungen rechnen zu müssen.23

Aus den oben dargelegten Gründen gibt es im Hinblick auf ein Transplantationsgesetz keinen ande­ren Weg, als eine enge Zustimmungslösung zu verlangen. Nach dem heutigen Wissensstand kann kein Mensch sagen, daß es sich beim Hirntod wirklich um den Tod des Menschen handelt, also um das Aufhören allen Empfindens und Seins. Nach allem bereits Gesagtem kann ich nur zu dem Schluß kommen, daß es sich bei allem, was an Aktivität dem festgestellten Hirntod des Patienten folgt, um ein Eingreifen von außen handelt – in das Leben bzw. den Sterbeprozeß des Patienten. Diese Aktivi­tät darf – jedenfalls in einem demokratischen Gemeinwesen, das seine verfassungsmäßigen Grundla­gen ernst nimmt – nur die ausdrückliche, vorher bekundete Billigung des Opfers zugrunde liegen.

1Prof. Linke, Detlef B. Hirnverpflanzung. Die erste Unsterblichkeit auf Erden, Rowohlt 1993, S. 115.

2Ebd., S.121.

3Müller, Uwe;. Clavèe, Horst-Werner. Organtransplantation. Fluch oder Segen? Verlag Pflegescript Os­nabrück Bd. 14, 1. Auf. 1993, S.22.

4Prof. Linke, Detlef B. Hirnverpflanzung. Die erste Unsterblichkeit auf Erden, Rowohlt 1993, S. 115.

5Ebd. S. 119.

6Psyrembel. Klinisches Wörterbuch. 254. Aufl. Walter de Gruyter & Co. 1982, S. 1200.

7Gramm, H.-J., Zimmermann, J., Meinhold, J., Dennhardt, R., Voigt, K.. Hemodynamic responses to no­xious stimuli in brain-dead organ donors. In: Intensiv Care Medicine 1992, 18: 493-495.

8Dr. Striebel, Hans Walter, Prof. Link, Jürgen (Hrsg.). Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplanta­tionsmedizin. Recom 1991, S. 81.

9Hauk, W., Müller, F. Zur Sache Organspende. Zebulon 1994, S. 161.

10Weil, C. Ich pflege einen Toten. In: Die Schwester/Der Pfleger, 33. Jg., 3/1994, S. 254.

11Lang, Christine. In: Wann ist der Mensch tot? Organver­pflanzung und Hirntodkriterium. Hoff,J. & In d. Schmitten, J.(Hrsg.). Rowohlt 1994, S. 399 f.

12Grosser, M. In: Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Dr. Striebel, Hans Walter, Prof. Link, Jürgen (Hrsg.). Recom 1991, S. 63.

13Ebd., S. 60.

14Dorner, R. Auf der Suche nach dem Menschsein. In: Die Schwester/Der Pfleger. 34. Jg., 5/1995, S. 381.

15Weil, C. Ich pflege einen Toten. In: Die Schwester/Der Pfleger, 33. Jg., 3/1994, S. 254.

16Lang, Christine. In: Wann ist der Mensch tot? Organver­pflanzung und Hirntodkriterium. Hoff,J. & In d. Schmitten, J.(Hrsg.). Rowohlt 1994, S. 399 f.

Grosser, M. In: Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Dr. Striebel, Hans Walter, Prof. Link, Jürgen (Hrsg.). Recom 1991, S. 63.

17Jetschmann, D. Erlebnisse einer Anästhesieschwester. In: Striebel, H. W. & Link, J. (Hrsg.): Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Basel; Baunatal: Recom 1991, S. 89

18Möller, D. In: Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Dr. Striebel, Hans Walter, Prof. Link, Jürgen (Hrsg.). Recom 1991, S. 82

19Grosser, M. In: Ich pflege Tote. Die andere Seite der Transplantationsmedizin. Dr. Striebel, Hans Walter, Prof. Link, Jürgen (Hrsg.). Recom 1991, S. 70 f.

20Niedersächsisches Ärzteblatt. Warum fehlen transplantierbare Organe? 65. Jg. Nr.6, 20. März 1992. In: Zur Wegnahme von Körperstücken und ihrem Verbleib, Reader Gen-Archiv 1993, S. 45.

21Dr. Klein, M. Hirntod: Vollständiger und irreversibler Verlust aller Hirnfunktionen? Ethik in der Medizin, Band 7, Heft 1, März 1995, S. 6-15.

22Weil, C. Ich pflege einen Toten. In: Die Schwester/Der Pfleger, 33. Jg., 3/1994, S. 254.

23Windels-Buhr, D. Organspende und Krankenpflege. Ein Widerspruch? In: Greinert, R. & Wuttke, G. (Hrsg.) Organspende. Kritische Ansichten zur Transplantationsmedizin. Lamuv 1., Aufl. Dezember 1991, S. 83.



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update: 10.01.2004    by: Roberto Rotondo