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Bundestagsdrucksachen und Plenarprotokolle zur Organspende


Deutscher Bundestag - Drucksache 13/6591 vom 17.12.1996

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Antrag

der Abgeordneten Eckart von Klaeden, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Gisela Babel, Franz Peter Basten, Meinrad Belle, Dr. Joseph-Theodor Blank, Manfred Carstens (Emstek), Horst Friedrich, Norbert Geis, Hermann Gröhe, Ulrich Heinrich, Ernst Hinsken, Dr. Burkhard Hirsch, Josef Hollerith, Siegfried Hornung, Hubert Hüppe, Helmut Jawurek, Jürgen Koppelin, Rudolf Kraus, Heinrich Lummer, Dr. Dietrich Mahlo, Rudolf Meinl, Rudolf Meyer (Winsen), Ronald Pofalla, Helmut Rauber, Christa Reichard (Dresden), Dr. Klaus Rose, Heinz Schemken, Gerhard Scheu, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Johannes Singhammer, Wolfgang Steiger, Kersten Wetzel, Michael Wonneberger und Benno Zierer

Eckpunkte für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen

Der Bundestag wolle beschließen:

Einer gesetzlichen Regelung für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen des Menschen sollen u. a. folgende Eckpunkte zugrunde gelegt werden:

1. Zum Zwecke der Übertragung auf einen anderen Menschen dürfen Organe entnommen werden:

a) bei irreversibel eingetretenem Atmungs- und Kreislaufstillstand, wenn nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft von einem völligen Funktionsausfall des Gehirns auszugehen ist,

b) bei durch kontrollierte Beatmung aufrechterhaltener Kreislauftätigkeit, wenn der irreversible Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms ("Hirntod") durch zwei Ärzte unabhängig von einander festgestellt worden ist und die Person, bei der die Organentnahme vorgenommen wird, wirksam eingewilligt hat (s. Ziffer 2).

2. Eine Einwilligung in die Organentnahme liegt vor, wenn die betreffende Person ausdrücklich - im Fall der Ziffer 1 b) zusätzlich nach Aufklärung über Feststellung und Bedeutung des Hirntodes - die nach dem Hirntod zur Transplantation erforderlichen Eingriffe in den Körper sowie die Entnahme des Organs gebilligt hat. Wirksam ist die Einwilligung, wenn die betreffende Person das 16. Lebensjahr vollendet hat und nach den allgemeinen Grundsätzen zum Zeitpunkt der Erklärung einwilligungsfähig gewesen ist.

3. Um möglichst viele Bundesbürger in die Lage zu versetzen, eine fundierte Entscheidung über eine eventuelle Organspende zu treffen, ist bei der Ausstellung oder Verlängerung eines Personalausweises den Antragstellern entsprechendes Informationsmaterial auszuhändigen. Dieses soll alle wesentlichen medizinischen und rechtlichen Informationen über Organtransplantationen sowie die Aufforderung enthalten, sich für oder gegen die Bereitschaft zur Organspende zu entscheiden. Aus dem Solidargedanken heraus sollte es einer "Bürgerpflicht" entsprechen, eine Entscheidung für oder gegen die Bereitschaft zur Organspende zu treffen. Erfolgt eine ausdrückliche Erklärung nicht, gilt dies als Ablehnung. Die Bereitschaft zur Organspende ist in einem bundeseinheitlichen Organspendeausweis sowie in einem zentralen Register festzuhalten.

Bonn, den 17. Dezember 1996

Eckart von Klaeden, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Gisela Babel, Franz Peter Basten, Meinrad Belle, Dr. Joseph-Theodor Blank, Manfred Carstens (Emstek), Horst Friedrich, Norbert Geis, Hermann Gröhe, Ulrich Heinrich, Ernst Hinsken, Dr. Burkhard Hirsch, Josef Hollerith, Siegfried Hornung, Hubert Hüppe, Helmut Jawurek, Jürgen Koppelin, Rudolf Kraus, Heinrich Lummer, Dr. Dietrich Mahlo, Rudolf Meinl, Rudolf Meyer (Winsen), Ronald Pofalla, Helmut Rauber, Christa Reichard (Dresden), Dr. Klaus Rose, Heinz Schemken, Gerhard Scheu, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Johannes Singhammer, Wolfgang Steiger, Kersten Wetzel, Michael Wonneberger, Benno Zierer

Begründung

Der Antrag bestimmt Eckpunkte für die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen beim Menschen und füllt damit insbesondere die im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. für ein Transplantationsgesetz (Drucksache13/4355) noch bestehenden Lücken.

Zu Nummer 1 (Festlegung der Transplantationsvoraussetzungen)

Eine direkte oder indirekte gesetzliche Festlegung des sog. Hirntodes (Ganzhirntod) als "sicheres Todeszeichen" des Menschen, wie sie der Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreßler u. a. (Drucksache 13/4368) vorsieht, ist nicht geboten. Sowohl in der Medizin als auch in der Rechtswissenschaft, der Theologie und der Philosophie ist umstritten, ob der Hirntod den Tod des Menschen sicher anzeigt. Es besteht zwar weitgehend Einigkeit darüber, daß der Tod des Menschen dann eingetreten ist, wenn das Ende der leib-seelischen und der biologischen Einheit des Organismus als Ganzem feststeht. Hiervon kann aber bei aufrechterhaltener Beatmung und fortgesetzter Kreislauftätigkeit eines hirntoten Menschen nicht sicher ausgegangen werden. Beim hirntoten Menschen werden von allen Organsystemen - außer dem Gehirn - substantielle Integrationsleistungen erbracht, die ihn wesentlich von einer Leiche unterscheiden. Während ein toter Körper sich biologisch einem Zustand maximaler Unordnung und Zerstreuung immer weiter annähert (Desintegration), ist ein fortschreitender Zerfall beim hirntoten Menschen gerade nicht zu erkennen. Eine Desintegration, ein Auseinanderfallen der einzelnen Organsysteme, ein mangels Koordination und Integration fortschreitender Zersetzungs- und Verwesungsprozeß liegt nicht vor. Er wird gerade durch ärztliches Eingreifen verhindert.

Nur wenn die bei Hirntoten angewendeten intensivmedizinischen Maßnahmen unterlassen oder abgebrochen werden, kommt es zu einem raschen Zerfall und zur Ausbildung der klassischen sicheren Todeszeichen. Die Phase vor diesem endgültigen Zustand und der "Schwebezustand" davor sind unterscheidbar und von offensichtlich unterschiedlicher Qualität. Nach dem Organtod des Gehirns ist das Leben des Menschen dem Tod zwar sehr nahe. Die reduzierte, aber zweifellos noch vorhandene Integrationsfähigkeit des Körpers eines Hirntoten spricht jedoch dafür, die Ganzheit des menschlichen Organismus noch nicht als endgültig zerbrochen anzusehen.

Der Hirntod ist daher nicht als sicheres Todeszeichen und damit als Tod des Menschen zu definieren, sondern nur als Entnahmekriterium für eine Organtransplantation anzuerkennen (s. Ziffer 1 b). Eine Organentnahme ist darüber hinaus auch dann zulässig, wenn bei Feststellung der klassischen Todeskriterien (nicht behebbarer Atmungs- und Kreislaufstillstand) auch der irreversible Funktionsausfall des Gehirns aufgrund der unterbliebenen Sauerstoffversorgung eingetreten ist (s. Ziffer 1 a). Integrationsleistungen des Gesamtorganismus liegen dann nicht mehr vor. Die Person, bei der die Organentnahme vorgenommen wird, muß jeweils wirksam eingewilligt haben (s. Ziffer 2.).

Durch die Festlegung dieser Voraussetzungen für eine Organtransplantation bleibt die Definition des Todes eine offene Frage, was der gerade in den letzten Jahren entstandenen interdisziplinären wissenschaftlichen Diskussion Rechnung trägt. Gegen die Anerkennung des Hirntodes als formales Organentnahmekriterium wird eingewandt, daß dies ein Verstoß gegen das Recht auf Leben wäre und der Gesetzgeber eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der "Tötung auf Verlangen" (§ 216 StGB) machen müßte. Zumindest bei der Entnahme lebenswichtiger Organe (insbesondere Herz und Lunge) müsse der Eingriff als Tötung des Sterbenden aufgefaßt werden.

Diese Einwände haben Gewicht, greifen aber letztlich nicht durch. Hierfür sind folgende Überlegungen maßgeblich:

1. Es ist bereits fraglich, ob man Organtransplantationen, die auf einer engen Zustimmungslösung beruhen, überhaupt in den Schutzbereich des § 216 StGB einbeziehen kann. Sinn und Zweck von § 216 StGB ist es, eine gezielt die Lebensbeendigung herbeiführende Handlung zu untersagen und mit Strafe zu belegen. Im Falle eines Hirntoten liegt aber die Lebensbeendigung durchaus im Bereich zulässigen ärztlichen Handelns, weil der Hirntod unbestritten eine Indikation zum Behandlungsabbruch darstellt. Wo ärztliche Maßnahmen zu keiner Verbesserung des Krankheitsbildes mehr führen können und der wohl wichtigste Schritt im Sterbeprozeß vollzogen ist, ist ein Behandlungsabbruch nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Dieser führt innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes unmittelbar zum Tod. Man würde den Schutzbereich des § 216 StGB überdehnen, wenn man ihn als absolutes Hindernis für die Organentnahme bei Hirntoten ansehen würde.

2. Entscheidend bei der Betrachtung, wie eine Organentnahme rechtlich zu werten ist, ist die Frage, welche Handlungspflichten den Arzt bezüglich des einzelnen Patienten treffen. Beim Organempfänger besteht eine ärztliche Pflicht, nach der Entnahme des kranken Organs alle erforderlichen Schritte zur Wiedergenesung vorzunehmen (Verpflanzung eines funktionsfähigen Organs, Bluttransfusion, Gabe von Medikamenten etc.). Beim hirntoten Organspender besteht aber eine solche Pflicht zur Weiterbehandlung gerade nicht. Läßt man ihn nach der Organentnahme sterben, ist dies nicht anders zu bewerten, als wenn man nach Feststellung des Hirntodes die Beatmungsmaschine sofort abgestellt und damit das Fortschreiten des endgültigen Sterbeprozesses nicht kurzfristig aufgehalten hätte.

3. Die Organentnahme führt somit zu einer bloßen Modifikation des Sterbevorgangs. Es kommt nicht zu einer Lebensverkürzung, sondern zu einer Sterbensverlängerung - mit Einwilligung des Betroffenen, um ein sittlich hochstehendes Ziel, die Rettung eines anderen Menschenlebens, zu erreichen. Man kann zwar bezweifeln, ob der verfassungsrechtliche Schutzbereich des Rechts auf Leben hierdurch überhaupt nicht tangiert wird (wobei dieser vom strafrechtlichen Schutzbereich des § 216 StGB durchaus zu unterscheiden ist). Soweit das Grundrecht auf Leben aber berührt ist und soweit überhaupt gemäß Artikel 2 Abs. 2 Satz 3 GG Eingriffe in dessen Schutzbereich möglich sind, sind der Hirntod und die Zustimmung des Betroffenen zur Organentnahme die denkbar klarste Indikation. Die Situation des Hirntodes ist medizinisch so eindeutig von jedem anderen Zustand abgrenzbar und einmalig, daß die Gefahr einer Ausweitung auf andere Indikationen ausgeschlossen werden kann.

Zu Nummer 2 (Einwilligung)

Bei der Einwilligung in eine Organentnahme handelt es sich um eine höchstpersönliche Entscheidung. Es ist ein Ausdruck der jedem Menschen innewohnenden und unveräußerlichen Würde, daß ein Dritter nicht ohne oder gegen den Willen des Betroffenen über dessen Körper verfügen kann. Dies gilt für den in der letzten Sterbephase befindlichen Menschen genauso, wie nach dem endgültigen Tod im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsrechtes. Somit kann nur der Organspender selbst in eine Organentnahme wirksam einwilligen.

Diese Einwilligung wird üblicherweise schriftlich in einem Organspendeausweis (vgl. Ziffer 3) dokumentiert. Zwingend ist dies jedoch nicht, da auch eine ausdrückliche mündliche Erklärung einem Dritten gegenüber (in der Regel gegenüber einem Verwandten) vorliegen kann. Der Nachweis einer solchen Erklärung kann durch die Aussage dieses Dritten geführt werden, der jedoch nicht seine eigenen Vorstellungen oder nur vage Äußerungen des potentiellen Organspenders berichten darf. Durch die Formulierung "ausdrücklich" wird deutlich, daß nur eine klare Einwilligungserklärung des Betroffenen als Entnahmevoraussetzung ausreicht.

Als Altersgrenze für die Einwillung in eine Organentnahme wird das vollendete 16. Lebensjahr vorgeschlagen. Ferner muß die allgemeine Einwilligungsfähigkeit im Zeitpunkt der Erklärung gegeben sein.

Zu Nummer 3 (Aufklärungsmaßnahmen, Organspendeausweis, Register)

Der Mensch befaßt sich nur ungern mit dem eigenen Tod. Von daher ist verständlich, daß bislang nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis sich mit der Möglichkeit der Organspende nach eingetretenem Hirntod auseinandergesetzt und eine bewußte Entscheidung hierzu getroffen hat. Angesichts der leidensmindernden und lebensrettenden Erfolge der Transplantationsmedizin besteht jedoch ein legitimes Interesse der Allgemeinheit daran, die Bereitschaft zur Organspende durch Aufklärungsmaßnahmen zu wecken und das Potential an spendebereiten Mitbürgern auszuschöpfen.

Deshalb ist eine gezielte Information möglichst der gesamten Bevölkerung über die Voraussetzungen und Umstände einer Organtransplantation anzustreben. Um dies zu erreichen, ist bei der Beantragung und jeder Verlängerung eines Personalausweises durch geeignetes Informationsmaterial auf die Möglichkeit, sich als Organspender registrieren zu lassen, hinzuweisen. Das Informationsmaterial soll auch die Aufforderung enthalten, sich für oder gegen die Bereitschaft zur Organspende bewußt zu entscheiden. Diese Entscheidung sollte aus dem Solidargedanken heraus einer "Bürgerpflicht" entsprechen. Erfolgt jedoch eine solche Erklärung nicht, wird daran keine Sanktion geknüpft. Das Schweigen ist als Ablehnung zu werten. Im Falle der positiven Entscheidung ist ein bundeseinheitlicher Organspendeausweis auszuhändigen, den der Organspender zum Zweck der Dokumentation seiner Entscheidung bei sich tragen soll. Unabhängig davon ist jedoch auch ein entsprechendes Register zu führen, damit Organentnahmen, für die tatsächlich eine Einwilligung vorliegt, nicht deshalb unterbleiben müssen, weil der Organspendeausweis nicht aufgefunden werden kann.

17.12.1996

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